Hans Gleich (2004): „Von Egelsbach nach Peking – eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn“

Egelsbach – Moskau     Moskau – Irkutsk     Irkutsk – Ulan-Bator     Ulan-Bator – Peking

 

Eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn (Transsib) war lange Zeit ein Traum. Politische, zeitliche und finanzielle Gründe verhinderten eine frühere Reise. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden allmählich auch Individualreisen möglich. Als Rentner war auch das Zeitproblem gelöst. Mit dem gegenüber dem amerikanischen Dollar erstarkten Euro sind die Reisekosten fast schon günstig zu nennen.

 

Im Herbst 2003 begannen Claus Schuster und ich mit den Reisevorbereitungen. Wenn schon Zug fahren, dann richtig. Also beschlossen wir, ab Egelsbach mit der Eisenbahn zu fahren. Der Preis für einen Flug nach Moskau wäre höher gewesen.

 

Obwohl wir von Anfang an eine Individualreise planten, wälzten wir die einschlägigen Kataloge der Pauschalreiseanbieter. Wir beschlossen, Aufenthalte mit Übernachtungen und Besichtigungen in Moskau, Irkutsk, Ulaan Baatar und Peking einzulegen. Aus dem Internet erfuhr ich von Naadam, dem größten mongolischen Fest, von Mongolen für Mongolen (noch nicht für Touristen, deshalb auch in keinem Pauschalreisekatalog erwähnt). Fast eine Woche lang werden Wettkämpfe in Bogenschießen, Ringen und Reiten  ausgetragen. Somit wurde Naadam für uns als Station auf unserer Reise attraktiv. Über das Internet fand ich ein deutsches Reisebüro in Ulaan Baatar. Mit dem dortigen Reisbüroleiter, Herrn Vait Scholz, wurden daraufhin per email die Optionen „diskutiert“. Schließlich organisierte er für uns die Transsibfahrkarten, eine Privatwohnung in Ulaan Baatar, einen Dometscher, die Eintrittskarten und die Transfers. Die Bezahlung erfolgte in USD.

 

Bereits im Februar hatten wir die Visaanträge für China, Mongolei, Russland und Weißrussland zur Visazentrale nach Berlin geschickt.

 

Im Reisebüro „Mister Travel“ hatten wir (über Olympia bzw. Dertour) einfache Hotelunterkünfte für Moskau, Irkutsk und Peking gebucht..

 

 

Am 25. Juni ging es los. Wir fuhren um 20:16 mit der S-Bahn nach Frankfurt, um 21:13 im komfortablen Großraumwagen eines ICE weiter nach Hannover.

 

Am 26. Juni um 00:35 stiegen wir in den Ost West (oder Europa Nacht) Express, der täglich zwischen Brüssel und Moskau verkehrt. Es ist ein russischer Zug mit Schlafwagen und einem russischem Schaffner, der seit 30 Jahren diese Strecke fährt. Ein Schild neben der Toilette verriet uns, dass der Waggon im Waggonbau Görlitz gebaut wurde. Kanzler Kohl hatte mit den Russen vereinbart, dass u.a. Waggons geliefert werden damit die russischen Truppen heim nach Russland transportiert werden konnten. Die Waggons strahlten den ganzen Charme der ehemaligen DDR aus, viel Plaste, minimaler Komfort. Beim  Schaffner mussten wir als Erstes die Fahrkarten abliefern, wir erhielten sie dann 2 Stunden vor Ankunft in Moskau zurück. Unser Abteil erster Klasse maß ca. 190 x 140 cm mit einem kleinen Teppich. Auf einer Seite befanden sich 3 Klappbetten übereinander. Im unteren Bett schlief Claus, im oberen ich. Das dritte Bett blieb hochgeklappt. Der Schaffner brachte in Folie eingeschweißte lindgrüne Bettwäsche. 2 Kopfkissenbezüge, ein Doppelbettlaken, einen Bezug für eine Decke. Unser Wagen war klimatisiert, das Thermometer im Abteil zeigte nachts 18 und tags 20 Grad. In einer Ecke neben dem Fenster befanden sich in einem Spiegelschrank eine Karaffe und Gläser. Eine Schukosteckdose war für Rasierer vorgesehen. Am Waggonanfang, gegenüber dem Abteil des Schaffners, stand rund um die Uhr heißes Wasser aus einem elektrisch betriebenen Samowar zur Verfügung. Der Schaffner brachte uns einen hervorragend schmeckenden russischen Tee in den berühmten großen Gläsern.

 

 

Um 1:00 lagen wir im Bett. Habe gedöst, aber nicht geschlafen. Claus hat leise geschnarcht. Um 4:00 Grenzkontrolle in Frankfurt Oder mit Lokomotivwechsel. In Deutschland fuhr der Zug verhältnismäßig ruhig und leise, in Polen ging es los mit starken horizontalen und vertikalen Schwankungen des Waggons. Ich ärgerte mich, dass ich keine Pillen gegen Reisekrankheit mitgenommen hatte.

 

Samstag den 26. Juli um 7:00 aufgestanden. Waschen und Zähneputzen in sauberer Zugtoilette am Anfang bzw. Ende des Waggons. Bei der einen Toilette kam das Wasser allerdings aus einem rostigen Rohr, weil offensichtlich jemand den Wasserhahn geklaut hatte. Nach Klingelzeichen kam der Schaffner und klappte die Betten hoch. Den mitgebrachten Rest Kaffee getrunken, Banane und Brot gegessen. Danach im Bordrestaurant im Nachbarwaggon gefrühstückt: Tee, Brot, Butter, Käse, Schinken garniert mit Salat und Petersilie, Honig, Marmelade. Für uns beide € 8,80 bezahlt.

 

Bei der Fahrt durch Polen an der Bahnstrecke beiderseits Landwirtschaft, zumeist Kleinbauern in Streusiedlungen, selten Ortschaften, kein Wald, dafür viele Erdbeerfelder, Kirsch- und andere Obstplantagen.

 

Gegen 9:00 tauchte die Silhouette moderner Hochhäuser von Warschau auf. Bahnhof und Bahnsteige wirkten wenig benutzt und sind am Zerfallen.

 

Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter zur weißrussischen Grenze. Links und rechts der Bahnstrecke Straßendörfer mit Kleinbauern, jedoch zunehmend Mischwälder mit einem hohen Anteil Birken. Sehr dunkle, offenbar fruchtbare Böden.

 

 

Um 13:30 erreichten wir die polnisch/weißrussische Grenze in Brest. Nach der polnischen erfolgte die russische Paß- und Zollkontrolle. Pässe wurden einkassiert, wir mussten Zollerklärungen ausfüllen und abgeben. Nach längerem Warten und Erhalt der Pässe wurde rangiert. Weil hier das Normalspurnetz endete und das russische Breitspurnetz begann, wurden in einer Halle die schmaleren europäischen Fahrgestelle gegen die breiteren russischen getauscht. Dazu wurde jeder Waggon abgekoppelt, angehoben, altes Fahrgestell weggerollt, neues Fahrgestell drunter und Waggon wieder abgesenkt. Auch die Kupplungen wurden getauscht. Auffallend war, dass die deutschen Fahrgestelle mit jeweils 3 Scheibenbremsen ausgerüstet waren, während die Russen noch mit den alten Backenbremsen arbeiten. Die Arbeiter waren ziemlich stark mit Öl und Fett verschmiert. Nach etwa 2 Stunden war die Aktion beendet und wir fuhren weiter. Fotografieren in der Halle war zwar offiziell verboten, wie mir ein Angestellter zu verstehen gab, aber er hat mich dann doch nicht daran gehindert. 

 

In Weißrussland dominieren Plattenbauten. Diese haben weder Dachboden, Keller noch sonstige Abstellräume.  Den Bewohnern wurde deshalb von der Eisenbahn (in Weißrussland und in Russland) Gelände an der Bahnlinie zur Verfügung gestellt. Dort wurden tausende garagenähnliche Buden hingestellt. Die „Garagen“ dienen als Lager für Kartoffeln, Eingemachtes, soweit vorhanden, als Garage für das Auto. Die vielen Ofenrohre lassen jedoch auch noch etwas anderes vermuten. Die Nachbarn treffen sich um Schnaps zu brennen. Den Frauen haben sie vorher erzählt, dass das Auto wieder mal kaputt sei und der liebe Nachbar reparieren helfe.

 

Bei jedem Halt auf den Bahnsteigen boten Frauen Zeitungen, Wodka, Gurken, Wasser in Flaschen, Kirschen und Erdbeeren an. Auf der endlosen Fahrt haben wir die mitgebrachten Zeitungen  gelesen.

 

An der Strecke kleine Siedlungen mit Holzhäusern, davor sorgfältig gepflegte Kartoffeläcker (für Wodka?).

 

Abendessen im Speisewagen mit 3 Tischen. Ein dicker Mann saß am Tisch und schlief seinen Rausch aus, ansonsten waren keine Gäste im Speisewagen. Drei Schaffner spielten Karten, die Servicedame sah zu. Der Koch und die Servicedame haben mehrfach Suppe angeboten, die musste offenbar weg. Wir wollten aber keine Suppe. Wir orderten 2 Flaschen Bier, je zwei Scheiben Brot mit Schinken, Gurkenscheiben und Tomate. Kostete für uns beide zusammen 2 €. Gegen 10:00 zum Schlafen hingelegt. Claus sagte, er hätte gut geschlafen. Ich konnte wieder nicht schlafen. Weil die Schienen in Weißrussland wie auch in Russland, in der Regel nicht endlos verschweißt sind wie bei uns, merkt man jeden Übergang und es dröhnte ständig „ratatata“.

 

 

Zwischen Weißrussland und Russland gab es keine Grenzkontrollen.

 

Sonntag, den 27. Juni um 4:00 (6:00 russischer Zeit) aufgestanden, Tee getrunken, jeweils eine Banane und einen Apfel geteilt und dazu 4 Plätzchen gegessen. Ab 7:00 sahen wir häufiger größere Ortschaften (Holzhaussiedlungen). Auf den Bahnhöfen häufig lungerten oft Jugendliche mit einer Bierflasche in der Hand herum. Immer häufiger sahen wir kleine Fabriken, halbzerfallen und abrissreif als Zeugen der Sowjetzeit.

 

Am weißrussichen Bahnhof in Moskau sind wir pünktlich angekommen. Keine Bank oder Wechselschalter hatte geöffnet. Unsere Zugbekanntschaft, ein usbekischer Softwareingenieur, konnte uns auch nicht weiterhelfen. Eine Fahrt mit der Metro schied deshalb aus. Die Taxifahrer wollten unisono 20 USD für die Fahrt zum Hotel. Ich bot 5 USD. Mit einem privaten Taxifahrer habe ich mich dann auf 10 USD geeinigt. Nach ca. 20 Minuten erreichten wir unser Hotel Rossia. Der Taxifahrer lieferte uns auf der billigen, Russen vorbehaltenen, Ostseite ab. Von dort wurden wir zur Westseite geschickt. Das Hotel Rossia ist das größte Hotel der Welt mit 2000 Betten und hat 4 Eingänge, einen  in jeder Himmelsrichtung. Einchecken verlief problemlos. Wir hatten eines der besten Zimmer, klimatisiert mit Panoramafenster, renoviert  nach westlichem Standard, im neunten Stock mit fantastischem Blick auf die Basilius Kathedrale, sowie den Kreml und den roten Platz.

 

Nachdem wir geduscht hatten und umgezogen waren (ich hatte vergessen Unterhemden einzupacken) sind wir losgezogen. In einem Restaurant im GUM haben wir zu Mittag gegessen: Plinisuppe, Reis mit Gemüse und ein Bier. Wir machten einen Spaziergang zur Basiliuskathedrale, dem Kreml und den roten Platz. An der kleinen Kirche am roten Platz lauschten wir zusammen mit „Orthodoxen“ einem Glockenspiel, das von einer Person per Hand bedient wurde. Vor dem Restaurant am roten Platz luden Schauspieler, verkleidet als Trozki, Lenin und Zar Alexander, zu einem Besuch ein.

 

Am Manegeplatz haben wir Cappuccino getrunken. Die Sonne schien und es war sehr heiß. Wir gingen zum Hotel und haben uns zwei Stunden hingelegt. Danach sind wir entlang der Moskwa spazieren gegangen. Die Straßen um den Kreml waren stundenlang gesperrt. Wir erfuhren, der Anlaß sei eine Prozession russisch orthodoxer Christen. Eine sehr bekannte Ikone sei aus den USA heimgekehrt. Tausende Gläubige, auch aus dem weiteren Umland haben die Heimkehr mit der Prozession begleitet. Die Ikone sollte am nächsten Tag zu ihrem endgültigen Bestimmungsort nach St. Petersburg geschickt werden. 

 

Abendessen hatten wir in Hotelnähe, im Freien, auf einer Terrasse mit Live Music. Jeweils 180 g (Mengenangaben sind grundsätzlich auf den russischen Speisekarten angegeben) Geschnetzeltes mit Pilzen, Pommes, Brot und russischem Bier. Gegen 23:00 sind wir müde ins Bett gefallen.

 

Montag, 28. Juni. Um 7:30 aufgestanden. Die Sonne schien und draußen zeigte das Thermometer 18 Grad.

 

Zum Frühstücken sind wir hinter einigen Pauschaltouristen hergegangen, die zielstrebig in den großen, lärmenden Frühstücksraum in der zweiten Etage gingen. Dort zeigten wir unsere Coupons und wurden abgewiesen. Es wurde uns erklärt, unser Frühstück sei im Turm in der Mitte der Anlage, im 21. Stock. Nach einem längeren Fußmarsch durch Hotelkorridore sind wir dort angekommen. Es handelte sich um ein Panoramarestaurant mit einem herrlichen Blick auf Moskau in allen vier Himmelsrichtungen. Wir hatten ein amerikanisches Frühstück mit Nescafe.

 

Nach dem Frühstück machten wir einen Rundgang um den Kreml, entlang der Moskwa, zur Erlöserkirche. Es nieselte ganz leicht. Mittagessen an der Kremlmauer: Jeweils 2 Schaschlik mit Reis und Bier. In der Nähe des GUM setzte heftiger Regen ein. Wir flüchteten ins GUM zum Teetrinken und Torteessen. Nach dem Regen schien die Sonne und wir unternahmen eine dreistündige Bootstour auf der Moskwa.

 

Nach dem Abendessen am Manegeplatz (amerikanische Pizza mit Cola) unternahmen wir den ersten Versuch, vom Manegeplatz aus mit der Metro zu fahren. Wir standen ziemlich hilflos vor den Ticketschaltern. Von einer Studentin habe ich mir dann in Englisch die Regeln erklären lassen. Drei Zigeunerinnen hockten in einiger Entfernung und beobachteten die Passanten. Nachdem wir für jeweils 10 Rubel (entsprechend 29 Cent) Tickets gelöst hatten gingen wir auf den Bahnsteig. Beim Einsteigen bekam ich einen Schubs und ich bemerkte, wie mir jemand mein Portemonnaie (mit 50 – 100 € in Rubeln) aus der Gesäßtasche zog. Ich fasste nach hinten und hatte einen jungen Kerl an den Hosenträgern erwischt. In der Hand hatte er eine Einkaufstasche und darüber eine Jacke, die übliche Tarnung für Taschendiebe. Auf dem Bahnsteig grinste mich eine Zigeunerin an und versuchte mich nach draußen zu locken. Ich hielt den Kerl fest und rief nach der Polizei. Die Russen in der Metro zeigten ihr Mitgefühl und gaben mir zu verstehen, dass das Portemonnaie sofort weitergegeben worden sei. So war es denn wohl auch. Ein ziviler Polizist zeigte seinen Ausweis und kontrollierte die Einkaufstasche. Schließlich gab ich den Zigeuner nach zwei Stationen frei und er stieg auch sofort an der nächsten Station aus. Nach zwei weiteren Stopps erreichten wir die Station Komsomolkaja. Dort stiegen wir in die Ringlinie. Die architektonisch und künstlerisch schönsten Bahnhöfe befinden sich alle an der Ringlinie. Dort sind wir von Bahnhof zu Bahnhof gefahren und haben diese besichtigt. Die Weiterfahrt war kein Problem, denn nach wenigen Minuten kam schon der nächste Zug. Gegen 23:00 Uhr waren wir zurück im Hotel. Im Biergarten tranken wir noch ein Bier um dann bis 1:00 Uhr den Blick auf den angestrahlten Kreml, die beleuchtete Basiliuskathedrale und den hell erleuchteten roten Platz vom Panoramafenster aus zu genießen. Zur Desinfektion spendierte Claus noch ein Glas Wodka aus seinem Vorrat.

 

Montag, 29. Juni. Um 8:00 aufgestanden. Draußen zeigte das Thermometer 15 Grad. Beim ausgiebigen Frühstück im 21. Stockwerk trafen wir Rudi und Rudolf, zwei pensionierte Berufsschullehrer aus Fulda. Sie wollten ebenfalls mit der Transsib nach Irkutsk, Ulaan Baatar und dann bis Peking. Obwohl sie einen anderen Zeitplan hatten trafen wir die beiden leicht chaotischen Männer in Irkutsk wieder. Nach dem Frühstück haben wir gepackt und das Gepäck im Gepäckraum des Hotels abgegeben. Vormittags regnete es leicht, nachmittags wurde es 25 Grad warm und die Sonne schien. Wir bummelten durch das alte Moskau, dem Altstadtviertel „Kitai-Gorod“ mit den zahlreichen Jugendstilhäusern, besichtigen ganz toll renovierte Innenhöfe und schlenderten über die Moskauer „Champs Elysee“. Mittags gönnten wir uns einen Cappuccino und ein Stück Kuchen. Vor einem kurzen Platzregen flüchteten wir ins GUM zu einem Glas Tee.

 

Egelsbach – Moskau     Moskau – Irkutsk     Irkutsk – Ulan-Bator     Ulan-Bator – Peking