Spät nachmittags machten wir uns auf den Weg zum Hotel um das Gepäck abzuholen. Weil ich mich mit dem Taxifahrer über den Preis zum Bahnhof nicht einigen konnte beschlossen wir zu Fuß zu gehen. Ein Spaziergang entlang der anderen Seite der Angara zur Brücke würde uns Bewegung verschaffen. Der Weg erwies sich jedoch als Umweg durch eine weniger schöne Gegend. Zu allem Überfluß setzte leichter Nieselregen ein. Claus schimpfte den ganzen Weg, er und seine Füße seien naß und alles sei schmutzig. Weil der Bahnhof gerade renoviert wird war es nicht so leicht, den richtigen Eingang zu finden. Wir waren zuerst falsch, lernten aber auf diese Weise den ganzen Bahnhof kennen.
Durch Fragen und auf der Anzeigetafel konnten wir
erfahren, dass unser Zug, die Nr. 364, auch pünktlich für die Abfahrt angezeigt
war. Auf welchen Bahnsteig war jedoch nirgends zu erfahren. Claus wurde
zusehends nervöser und fragte all möglichen Leute. Eine halbe Stunde vor
Abfahrt tauchte Joury Nemirovsky mit einigen Touristen auf. Er bestätigte mir,
dass der Bahnsteig noch nicht feststehe, aber rechtzeitig bekannt gegeben
werde.
Der berüchtigte 364er, gezogen von zwei Dieselloks
(Taigatrommeln), fuhr pünktlich ein und wir waren auf dem richtigen Bahnsteig.
Beschriftung und Wappen an der Seite zeigten uns, dass es sich um einen
mongolischen Waggon handelte, der aber in Deutschland bei Waggonbau Ammendorf
entstanden ist. Der Zug bestand aus alten Waggons, nicht klimatisiert, 4 Bett
Schlafwagenabteile, holzbefeuertem Samowar und keine Teppiche auf den Böden.
Die Holzfenster ließen sich jedoch öffnen. Die Toiletten/Waschräume an den
Waggonenden waren sehr klein und zusätzlich stand noch ein Blecheimer, der wohl
zum Putzen diente, im Weg. Ein Speisewagen fuhr zwar mit, war aber die ganze
Fahrt über geschlossen.
Wir waren im Waggon 10 und hatten die Plätze 1 und
2. Als lange Zeit niemand einstieg freuten wir uns schon und dachten wir
hätten, in dem ansonsten bis auf den letzten Platz ausverkauften Zug, das ganze
Abteil für uns. Fünf Minuten vor Abfahrt standen plötzlich zwei ca. 25 jährige
Mädchen in der Tür und deuteten auf die Plätze 3 und 4. Wir räumten also um.
Eines der Mädchen ging wieder nach draußen und diskutierte mit einem
Mitarbeiter von Nemirovsky. Der lachte nur und sagte immer wieder „take it
easy“.
Ich fragte die beidenm, ob sie Englisch sprechen
würden, worauf die beiden schallend lachten. Liz stellte sich als Engländerin
vor, die von Julia, einer Irkutsker Reiseleiterin, auf der Transsib
eingearbeitet wird. Sie wollte später für die australische Reiseagentur
„Sundowner“ Gruppen auf der Transsib betreuen. Die Mädchen waren eigentlich
ganz nett und wir unterhielten uns ganz gut. Julia gab uns später einige Tipps
zum Ausfüllen der Ausreiseformulare aus Russland bzw. zur Einreise in die
Mongolei.
Als wir aus Irkutsk rausfuhren, zeigte uns Julia wo
sie wohnte, einem Plattenbau, wo sie in den Kindergarten und später in die
Schule gegangen war. Auf meine Frage, warum sie in einem Plattenbau und nicht
in einem Holzhaus wohnen würde antwortete sie: Im Plattenbau gibt es Heizung,
fließend Warm- und Kaltwasser und eine Toilette, das alles gäbe es in den
Holzhäusern nicht.
Zur Begrüßung brachte uns die Schaffnerin sehr
gut schmeckenden russischen Tee. Einer
vorbeikommenden Frau kauften wir dann noch zwei Flaschen Bier ab.
Im Waggon war ein buntes Völkergemisch. Neben
Australiern, Neuseeländern, Engländern, Kanadiern lärmte auch eine Gruppe
Österreicher in reinem Dialekt. Es herrschte eine ausgesprochen gute Stimmung,
die meisten Passagiere standen im Gang herum und unterhielten sich. Ein
neuseeländisches Ehepaar erzählte mir von ihrer an einer Meeresbucht gelegenen
Schaffarm mit 4 500 Schafen und dass sie jetzt auch mal Urlaub machen könnten
weil die erwachsene Tochter während ihrer Semesterferien die Farm betreut.
Nachdem ich dem Farmer erklärt hatte, woher die laute Reisegruppe sei fragte
er, was für eine Sprache man in Österreich spreche, so was hätte er noch nie
gehört. Meine Antwort, das dort deutsch gesprochen würde bedurfte aber weiterer
Erklärungen, anfangs war er nämlich sehr skeptisch.
Hinter Irkutsk wand sich der Zug über kurvenreiche
Strecken langsam bergauf.
Claus hatte wieder mal Sorgenfalten auf der Stirn:
„Wie das noch weitergehen würde“. Zu allem Überfluß fing unser auf dem Markt
gekaufter Käse an zu stinken. Habe die Tüte mit dem Käse erst einmal an das
offene Fenster gehängt. Wir beschlossen jedoch bald den Käse mit dem
mitgebrachten Brot zu essen um dem Gestank ein Ende zu bereiten. Einen Rest
haben wir an Liz und Julia und vor unserer Abteiltür stehende Passagiere
verteilt. Alle lobten den guten Geschmack und wir waren froh den Gestank los zu
sein.
Die Schaffnerin verteilte frische, weiße Bettwäsche
und bunte Handtücher. Gegen Mitternacht wurde es dann ruhiger und auch der
letzte Österreicher verstummte.
Donnerstag, den 8. Juli um 7:30 aufgestanden. Der
Zug war laut und es hat die ganze Nacht gerüttelt und geschüttelt. Ich hatte
kaum geschlafen träumte aber ich sei im 10. Stock eines Plattenbaus, als
plötzlich im angrenzenden Zimmer ein Höllenlärm einsetzte. Ich sah nach und
entdeckte in der Nachbarwohnung 10 Trommler die wie wahnsinnig auf ihre
Trommeln einschlugen. Als ich sie bat aufzuhören, lachten sie mich aus.
Daraufhin habe ich die Nachbarn nebenan, von oben und unten alarmiert. Diese
waren verängstigt, gingen dann aber mit mir mit. Als ich gerade dem dicken
Anführer der Trommler, mit den ganzen Nachbarn im Rücken, an den Kragen wollte,
löste sich das ganze in Schienengeratter auf.
Draußen war es kühl und der Himmel war bedeckt. Bei
km 5700 (von Moskau aus) wirkte die Landschaft wie im Voralpenland, nur die
Vegetation war etwas kümmerlicher. Ab und zu fuhren wir an typischen
sibirischen Holzhaussiedlungen vorbei, wie in ganz Sibirien mit Ziehbrunnen,
Klohäuschen, Kartoffelacker und Staketenzaun drum herum.
Die Vegetation wurde immer kümmerlicher und die
Siedlungen spärlicher. Gegen 13:00 waren wir nach 5902 km (von Moskau aus) in
Nauschki, dem bescheidenen russischen Grenzstädtchen in der Gobi, angekommen.
Für die Weiterreise in die Mongolei beginnt hier km 0. Das Warenangebot auf dem
Bahnsteig war das bisher kümmerlichste auf der ganzen Reise. Es wurde 4 Stunden
lang rangiert. Anschließend wurden die
Pässe eingesammelt, Ausreise- und Zollformulare ausgefüllt und wieder
eingesammelt. Nach weiteren 2 Stunden wurden die Pässe zurückgegeben und wir
konnten endlich weiterfahren.
Nach 25 Minuten Fahrt kamen wir in der mongolischen Grenzstation Suchbaatar an. Der Zug wurde sofort von jungen mongolischen Soldaten umstellt. Sie sollten verhindern, dass mongolische Geldwechsler oder andere Personen in den Zug einsteigen. Trotzdem ist es einigen Geldwechslern und Verkäufern gelungen, sie gingen von Abteil zu Abteil und boten ihre Dienste an. Weil die Toiletten während des Aufenthalts an der Grenze geschlossen waren wurden die wenigen überfüllten Toiletten auf den Bahnhöfen gestürmt. Erneutes Rangieren, Pass- und Zollkontrolle mit 3 weiteren Formularen u.a. zum Gesundheitszustand (wg. SARS) dauerten noch einmal 3 Stunden. Vor dem Bahnhof trostloses Stadtambiente. Spötter halten den Bahnhof für die größte Sehenswürdigkeit Suchbaatars.
Mittags blieben wir im Abteil, tranken Tee und aßen
Wurst und Brot.
Einige acht bis zehnjährige Kinder versuchten zu betteln
oder sammelten von den Reisenden Plastikflaschen ein. Ich erfuhr später, dass
sie an Sammelstellen umgerechnet 1 Cent pro Flasche erhalten.
Nach insgesamt 9 Stunden Aufenthalt an der Grenze
ging es endlich weiter Richtung Ulaan Batar. Beiderseits der Bahn Reitergruppen
auf kleinen Mongolenpferdchen.
Beim ersten Halt in einem kleinen Bahnhof waren
ungefähr 100 Mongolen mit Stöcken in der Hand auf dem Bahnsteig, teilweise mit
Pferden. Wir standen auf dem Gang und sahen zahlreiche Mongolen mit Gepäck
aussteigen. Plötzlich begannen die Personen mit den Stöcken auf die
Aussteigenden einzuprügeln. Mit ihren Knüppeln droschen sie wahllos auf die
Aussteigenden los, auch auf die Köpfe. Einige kräftige Mongolen entwanden den
Angreifern die Stöcke und droschen nun auf die Angreifer ein. Nach 10 bis 15
Minuten ergriffen die Angreifer die Flucht, wurden auf Distanz aber noch mit
Steinen beworfen. Wir Passagiere hatten ganz schnell die Fenster geschlossen
und schauten mit einem etwas komischen Gefühl der Massenprügelei zu. Wir
dachten: Oh je, was wird uns wohl in der Mongolei alles erwarten. In der
Zwischenzeit war auch unsere Schaffnerin von Abteil zu Abteil geeilt und hatte
uns aufgefordert die Fenster fest zu schließen, es wäre ein leichtes für
vorbeireitende Mongolen durch ein geöffnetes Fenster zu greifen.
Freitag, den 9. Juli um 5:30 aufgestanden. Draußen
war es kühl und es regnete. Die Ösis im Waggon waren sehr aufgeregt, Claus ließ
sich anstecken.
Um 6:30 erreichten wir pünktlich das 6304 km hinter Moskau, 404 km von der Grenze entfernt liegende Ulaan Baatar, die 1300 m hoch gelegene Hauptstadt der Mongolei mit ungefähr einer Million Einwohnern. Das 1,5 Millionen qkm große Land hat gerade mal 2 Millionen Einwohner.
Ulaan Baatar. Wir wurden, wie von Vait Scholz
versprochen, abgeholt. Vait Scholz habe
ich im Internet kennengelernt, er ist Deutscher und betreibt in Ulaan Baatar
das Reisebüro „Extratour“. Er besorgte uns die Eintritts- und Bahnfahrkarten,
das Quartier und die Dolmetscherin. Eine junge Frau erwartete uns mit einem
Schild in der Hand mit unseren Namen darauf. Sie hieß Zoloo, war 32 Jahre alt,
Deutschlehrerin, unsere Wirtin und auch unsere Dolmetscherin.
Zoloo brachte uns in ihre Zweizimmerwohnung, die sie
mit ihrer jüngeren 28 Jahre alten Schwester bewohnte. Die Wohnung lag in einer
riesigen Wohnblocksiedlung mit schätzungsweise mehr als 1 000 Wohnungen. Die
Siedlung war bis zur Wende, auch in der Mongolei spricht man von der Wende,
ausschließlich von Russen bewohnt. Mongolen hatten früher keinen Zutritt. Nach
dem Abzug der Russen sind Mongolen eingezogen, allerdings ohne irgendetwas zu
verändern oder zu renovieren. Die Außenanlagen waren ungepflegt, das
Treppenhaus wahrscheinlich seit Fertigstellung nicht renoviert. Wir gingen
durch eine vergammelte Haustür in Block 6C und stiegen über die blanke
Betontreppe zur Wohnung, im vorletzten, dem vierten Stockwerk, natürlich ohne
Aufzug. Drei Wohnungstüren auf jeder Etage. Zoloo führte uns in die Wohnung
links, schüttelte die Schuhe mitten im Flur ab, dort lagen schon ein paar
Schuhe, und zeigte uns die Wohnung. Nachdem wir unser Gepäck abgestellt und
auch die Schuhe ausgezogen hatten, führte sie uns in die kleine Küche. Die
Einrichtung bestand aus Spüle, Elektroherd, Kühlschrank, einigen Hängeschränken
einem Tisch und 2 alten Polstersesseln. Im Bad befand sich eine Badewanne mit
Duschvorhang und eine kleine Waschmaschine. Die Fußbodenplatte vor dem
Waschbecken lag lose auf und klapperte beim Betreten. Der Lichtschalter für das
innenliegende Bad befand sich auf der gegenüberliegenden Flurseite in Kopfhöhe.
Die Toilette, mit einem ständig fließenden Spülkasten, befand sich in einem
kleinen Raum daneben. Im Schlafzimmer der Damen waren Ehebetten, ein
Kleiderschrank und ein Schreibtisch.
Unser 16 qm großes Zimmer diente offensichtlich als
Wohnzimmer. Auf einem alten Teppichboden lag ein nicht ganz so alter Teppich.
Die Tapeten mussten noch von den Russen stammen, denn man sah einige hellere
bzw. weniger schmutzige Stellen wo früher Schränke gestanden haben mussten. In
einer Ecke lag eine Matratze. Zoloo brachte eine dünne Filzmatte und erklärte,
solche Matten würden alle Mongolen in den Jurten benutzen und deshalb hätten
sie keine Rückenschmerzen. Claus reklamierte diese Matte sofort für sich. Wir
erhielten saubere Laken und weil Claus so leicht friert gab Zoloo ihm einen
Schlafsack.
In einer anderen Ecke des Zimmers stand ein
Fernsehgerät auf einer mit buntem Papier beklebten Holzkiste. Des weiteren
waren ein Tisch und drei Stühle vorhanden. Auf dem Tisch brodelte heißes Wasser
in einem elektrischen Samowar. Vor dem Verbundglasfenster und der Balkontür
hingen Vorhänge mit mongolischem Design. Der kleine Balkon diente, wie bei
allen anderen Wohnungen auch, als Abstellplatz für ausrangierte Möbel, Werkzeug
und Kartons. An der Wand hing ein deutscher Kalender mit Alpenansichten. An der
Decke hing eine nackte Glühbirne, wie in den anderen Räumen auch.
Nach dem Duschen legten wir uns eine Stunde hin. In
der Zwischenzeit hatte Zoloo eingekauft: Brot, Rama, Marmelade. Zum Frühstück
machten wir uns Nescafe bzw. Cappucino, die beiden Mädchen, die mit uns
frühstückten, tranken ausschließlich warmes Wasser.
Zoloo erzählte, dass sie an der deutschen Schule als
Deutschlehrerin arbeite für 60 USD im Monat. Weil die Wohnung für sie und ihre
Schwester im Sommer 30 und im Winter 60 USD im Monat kostet arbeite sie bei
Extratour als Tourguide, Dolmetscherin und beherberge gelegentlich Gäste. Als
Guide begleitet sie z.B. Motorradfahrer, zumeist Ärzte, vier Wochen lang mit einem
russischen Geländeauto, das von ihrem Bruder gefahren wird. Übernachtet wird in
Jurtencamps oder in eigenen Zelten im Schlafsack. Während ihres Studiums in
Moskau verlor sie bei einem Motorradunfall einige Zähne. Sie erzählte uns
stolz, dass eine Gruppe Schweizer Zahnärzte sie deshalb bei einer Tour durch
die Gobi in die Schweiz eingeladen hatte um ihre Zähne zu richten. Aufenthalts-
und Zahanarztkosten von mehr als
15 000 CHF wurden von den Ärzten übernommen. Wie wir
sehen konnten, haben die Schweizer gute Arbeit geleistet. Zoloos Schwester,
deren Namen für uns unmöglich auszusprechen war, hatte Medizin in Moskau und
Peking, u.a. Akupunktur, studiert. Sie will in einem Jahr ihren Abschluß machen
und dann in einer Klinik in Ulaan Baatar arbeiten. In der Zwischenzeit
verdiente sie etwas als Masseuse für einige Ausländer.
Weil es weiterhin regnete, beschlossen wir, das
Naturkundemuseum zu besuchen. Zoloo stand uns die ersten beiden Tage als
Dolmetscherin zur Verfügung. Das Museum ist bekannt für seine zahlreichen
Dinsaurierexponate, die allesamt in der Gobi gefunden wurden. Nach Regenfällen
werden auch heute noch Dinosaurierskelette und besonders viele versteinerte
Eier gefunden. Obwohl die Ausfuhr von Dinosauriereiern verboten ist schmuggeln
Touristen regelmäßig. Besonders zu erwähnen ist noch die umfangreiche
Mineraliensammlung mit Hinweisen wo welche Mineralien in der Mongolei vorhanden
sind bzw. abgebaut werden. Deutsche sollen z.B. in der Gobi Gold abbauen und
dabei wenig Rücksicht auf die Umwelt nehmen.
Wir tauschten Euro in Tigrit, kauften Postkarten,
Briefmarken und lernten Taxifahren. Das ist in der Mongolei lebensnotwendig und
ganz einfach: An den Straßenrand stellen und die Hand ausstrecken. Es hält garantiert
eines der nächsten vorbeifahrenden Autos, ob mit Taxischild oder ohne. Die
rechts- oder linksgelenkten Autos sind meist älteren Datums und viele verbeult.
Die Mongolen gehen für einige Zeit nach Japan oder nach Korea um zu arbeiten
und bringen dann ein Auto mit. Fast alle haben ein Taxameter eingebaut und
befördern Personen. Taxifahren ist sehr billig, wir fuhren für umgerechnet 30
Cent bis maximal 1,30 €. Trinkgeld bei Taxifahrern und auch in Restaurants ist
nicht bekannt und wird als Beleidigung empfunden.
Nach dem Besuch im stadtbekannten koreanischen „all
you can eat“ Restaurant (3 Personen Essen und Trinken 34 USD) besuchten wir
eine Folkoreveranstaltung. Geboten wurden Musik mit Pferdekopfgeigen und
anderen uns bis dahin unbekannten Instrumenten, tolle Kostüme, der berühmte
Kehllautgesang von bekannten Sängern und artistische Einlagen.
Zum Abschluß beschlossen wir noch ein Bier zu
trinken, und zwar im bekannten Tschingisbrauereiausschank. Tschingisbier ist
besser als das Khan Bier. Zoloo wurde nach Betreten des Lokals von einer
größeren Gruppe junger Männer und Frauen, alle zwischen 25 und 32 Jahre alt,
lautstark begrüßt. 21 Deutschlehrerinnen und 6 Deutschlehrer feierten den
Abschluß einer Fortbildung mit einer älteren rothaarigen Frau vom DAD. Wir
wurden sofort freudig aufgenommen, konnten die Lehrer doch sofort ihr Gelerntes
in der Praxis anwenden. Für uns waren es zwei anstrengende aber auch sehr
interessante Stunden. Ein großer Teil der Männer und Frauen waren bereits als
Aupair in Deutschland Die meisten Lehrerinnen waren unverheiratet und möchten
am liebsten sofort nach Deutschland gehen, heiraten und Kinder kriegen. Die
mongolischen Männer würden meistens saufen und wären faul. Wir sollten zu
später Stunde dann unbedingt noch mit in die Disco gehen. Es hat uns dann
einige Mühe gekostet die Damen davon zu überzeugen, dass wir uns dafür nicht
mehr so ganz geeignet fühlten.
In der Wohnung angekommen haben wir mit den Mädchen
Tee getrunken und Zoloo hat mongolische Lieder zur Gitarre gesungen.
Samstag den 10. Juli um 7:00 aufgestanden. Wir
wollten heute das buddhistische Gandan Kloster besuchen, ein Guide sollte uns
um 8:30 abholen. Draußen war es 18 Grad kühl, bewölkt und kein Regen. Unser
Frühstück stand auf einem Tablett vor der Tür, die Damen waren schon außer
Haus.
Als unser Guide kurz nach 9:00 noch nicht
aufgetaucht war beschlossen wir auf eigene Faust das Kloster zu besuchen. Wir
hielten ein Taxi an und der Taxifahrer hat tatsächlich Gandan Monastery
verstanden, sicherheitshalber haben wir auch noch ein Bild vom Kloster gezeigt.
Wir sind dann auch ohne Verzögerung hingekommen und konnten den vormittäglichen
Gebeten der Lamas beiwohnen. Die Lamas beten laut aus dem Gedächtnis oder lesen
von Blättern ab. Zwischendurch wurde laut getrommelt, Bleche wurden geschlagen
und auf einer Muschel geblasen. Es war ein Höllenlärm, worüber sich der
Lamaschüler, der die Trommel schlug, sichtlich amüsierte. Während der Gebete
wurden Hadags, Schals in blau, rot, weiß oder gelb verschenkt. Die Farben haben
eine spezielle Bedeutung: weißer Hadag für private Wünsche, roter Hadag für
gute Wünsche für die Mutter, gelber Hadag gute Wünsche für Lehrer, blauer Hadag
für gute Wünsche für wichtige Gäste und für den Himmel. Einheimische, aber auch
Besuchergruppen verteilten Geld oder Geschenke an die Lamas. Während sie
beteten musterten sie ausgiebig die Geschenke und die ihrer Nachbarn. Es war
offensichtlich ein guter Tag, denn alle freuten sich und schienen zufrieden zu
sein.
Obwohl die Sowjets zwischen 1921 und 1990 alles
taten um den Mongolen den Buddhismus auszutreiben, erfreut er sich heute wieder
regen Zuspruchs. Viele Kinder wollen Lamas werden und viele Erwachsene besuchen
die Tempel und lassen zu allen möglichen Anlässen, besonders jedoch bei Krankheit
eines Familienangehörigen, Gebete von den Lamas sprechen.
Der mongolische Buddhismus entspricht weitgehend dem
in Tibet. Der Dalai Lama wird als Oberhaupt anerkannt, der Potala ist das
Hauptgebäude im Kloster mit der riesigen Buddhafigur, allenthalben werden
Gebetstrommeln, immer im Uhrzeigersinn, gedreht. Auch Mandalas sind in weiten
Gegenden in der Mongolei bekannt und die Reinkarnation auch selbstverständlich.
Gegen 10:15 sprach uns ein junger Mann an und
stellte sich als unser Guide vor. Er hatte sich verspätet, und weil er wusste,
dass wir zum Gandan Kloster wollten, ist er uns nachgefahren. Unser Guide war
Student und hieß Bulgaa, er sprach neben chinesisch, er hat ein Jahr in Peking
studiert, englisch, russisch und deutsch auch arabisch. Er beherrscht fünf
verschiedene Schriften: Altmongolisch, Kyrillisch, Chinesisch, Latein und
Arabisch. Er hat ein Stipendium für BWL an der Uni München, wo er nach den
Semesterferien studieren wird. Er zeigte uns unterwegs eine größere Baustelle.
Er sagte, er freue sich schon darauf, dass er nach Abschluß seines Studiums
dort als Direktor im Wirtschaftsministerum wird arbeiten können.
Aus Mangel an typisch mongolischen Restaurants haben
wir in einem chinesischen Lokal zu Mittag gegessen. Claus stöhnte: Oh Gott,
habe meine Gabel vergessen. Es hat dann aber auch mit den Stäbchen ganz gut
geklappt und er ist auch satt geworden.
Wir besuchten anschließend den Suche-Batar-Platz,
dessen Größe und Bedeutung mit dem roten Platz in Moskau zu vergleichen ist. Am
Vorabend zu Naadam wurden dort Kränze niedergelegt. Suche Batar hatte 1920 die
Mongolei von den Chinesen befreit und die moderne Mongolei gegründet, wird
deshalb, nach Dschingis Khan, als großer mongolischer Volksheld verehrt.
Der Staatspräsident, Ministerpräsident und die
Minister kamen aus dem am Platz liegenden Regierungsgebäude zu Fuß herüber und
zelebrierten die Kranzniederlegung. Neben einigen alten Kriegsveteranen, mit
ihren stolz am Revers getragenen Auszeichnungen, war auch das diplomatische
Corps mit dem deutschen Botschafter anwesend. Wir unterhielten uns mit einem
jungen Mann namens Schumann, der gerade aus Deutschland angekommen war und sich
auf seine Arbeit für die nächsten drei Jahre als Botschaftssekretär in der
deutschen Botschaft freute. Wenige Tage vor unserer Ankunft hatten Wahlen
stattgefunden. Die bis dahin dominierenden Kommunisten hatten erstmals eine
Wahlschlappe erlitten und die absolute Mehrheit verloren. Sie waren deshalb
stinksauer und blieben der Zeremonie fern. Die neu gewählten Abgeordneten der
Demokraten dagegen waren alle anwesend.
Ab 10:00 schien die Sonne und es war mehr als 25
Grad warm. Wir fuhren mit einem Taxi zum sowjetisch/mongolischen Ehrenmal auf
einem Aussichtshügel mit einem guten Blick auf Ulaan Baatar und das ganze Tal.
Auf dem Rückweg besichtigten wir das
Bagd-Khan-Museum, den Sitz der letzten Mongolenherrscher bis 1920. Unser Guide
erklärte sehr gut die Geschichte und den Einfluß des Buddhismus und der Lamas
auf die Kultur und das mongolische Alltagsleben.
Zum Abschluß fuhren wir ins Cafe Sacher und haben
dort Sachertorte gegessen und Kaffee getrunken. Auf dem Weg zur Wohnung haben
wir in einem Supermarkt noch Bier, Äpfel und Erdnüsse für den Abend gekauft.
Vor dem Supermarkt wurde Hammelfleisch gegrillt. Wir setzten uns dort und aßen
frisch gegrillte Hammelspieße (mit Bier gespült). Die Mongolen an den anderen
Tischen drehten immer wieder die Köpfe nach uns um, scheinbar kamen dort nicht
allzu oft Europäer hin.
Zoloos Schwester hatte abends vorher gefragt, ob wir
Wäsche gewaschen haben wollten. Ich hatte ihr morgens meine Wäsche hingelegt
und fand sie bei unserer Heimkehr gewaschen und gebügelt vor. Die Schwestern
waren zum Abendessen bei ihrer verheirateten Schwester verabredet. Während
Naadam, den größten Festtagen im Jahr besuchen sich Verwandte und Bekannte und
essen gemeinsam. Wir empfingen die Deutsche Welle und sahen endlich eine
Aufzeichnung des EM Endspiels Griechenland – Holland und Ausschnitte der Tour
de France.
Nachts um 12:30 wurde ich von einem riesigen
Feuerwerk in der Stadt wach, Claus hat selig geschlafen.
Sonntag den 11. Juli um 7:00 aufgestanden. Zoloos
Bruder hat uns mit seinem russischen Bully um 8:00 abgeholt. Nachdem wir in
einem Hotel weitere vier Personen aufgenommen hatten fuhren wir zum
Suche-Batar-Platz. Eine große Reiterstaffel in prächtigen mongolischen
Uniformen ritten um das Suche Batar Denkmal, den Regierungssitz und das
Mausoleum zur Erinnerung an Dschingis Khan, der in der Mongolei noch immer
allgegenwärtig ist.
Zur Naadameröffnungsfeier im Stadion am Stadtrand
mussten wir den letzten km zu Fuß gehen, quer über Wiesen laufen und unter
Wasserleitungen durchkriechen. Wir hatten Karten für die Section 5, einer
Tribüne, die offensichtlich Ausländern und deren Betreuern vorbehalten war.
Außer unserer Tribüne war nur noch die
der Regierungsmitglieder und des dioplomatischen Corps überdacht. Wir hatten
reichlich Sitzplätze, während die Mongolen im mit mehr als 50 000 Personen
total überfüllten Stadion dicht an dicht in der prallen Sonne saßen bzw.
standen. Nachmittags war es immerhin 30 Grad warm. Damit keine Mongolen auf
unsere Tribüne kamen waren wir von Polizisten umgeben, die jeden Versuch eines
Mongolen einen freien Platz bei uns zu besetzen, im Ansatz vereitelten. So waren
wir während der Eröffnungsfeier wenigstens vor Taschendieben sicher.
Vor dem Stadion waren Verkaufstände und überall
wurden Hammelspieße gegrillt. Alkohol war strikt verboten. Die Mongolen waren
festlich gekleidet, es herrschte Volksfeststimmung. Es kam immer wieder vor,
dass sich Mongolen nach uns umdrehten oder neben uns herliefen und uns
anstarrten. Der roten Gesichtsfarbe nach waren es Nomaden vom Land, die bisher
nur wenige oder gar keine Europäer gesehen hatten. Eine Frau mit ihren zwei
Kindern ist mir besonders lange nachgelaufen und hat mich immer wieder
ungläubig angestarrt.
Mittags kauften wir an einem Stand mit Fleisch
gefüllte Teigtaschen mit Kartoffelsalat und eine Flasche Wasser.
Die Eröffnungsfeier war vergleichbar mit einer
Eröffnung zu den olympischen Spielen, eben nur in einem kleineren Rahmen. Nach
einer Militärkapelle sind die Bogenschützen, Ringer und Reiter eingezogen.
Überall Fahnen und jubelnde Mongolen. Der in mongolischer Tracht gekleidete
Staats- und auch der Ministerpräsident hielten Ansprachen, die mit viel Beifall
bedacht wurden.
Eine bekannte mongolische Sängerin zog, auf einem
festlich geschmückten weißen Kamel sitzend, laut singend in das Stadion ein.
Eine echt aussehende Elefantenattrappe auf Rädern erinnerte an den letzten
Khan, der bei Auftritten seine Untertanen mit dem vom Zaren geschenkten
Elefanten gewaltig Eindruck schindete. Den Abschluß bildete die Nationalhymne,
die stehend von den Mongolen laut mitgesungen wurde.
Auf dem Rasen begannen dann die Ringkämpfe. 512
Ringer waren gemeldet. Es gibt weder Alters- noch Gewichtsklassen. Jeder kämpft
im k.o. System gegen jeden. Wer einmal verliert ist draußen. 15 – 20 Ringkämpfe
fanden gleichzeitig auf dem Rasen statt, ohne Abgrenzung, aber mit einem
Schiedsrichter, der während des Wettkampfes die Käppis mit den Nummern der
Ringer hielt. Sieger und Verlierer wurden von der Schiedsrichterbank aus per
Lautsprecher bekanntgegeben. Der Sieger tanzte anschließend mit schwingenden
Armen, den Flug eines mächtigen Adlers darstellend. Der Verlierer musste unter
den schwingenden Armen hindurchgehen und so seinen Respekt gegenüber dem Sieger
zeigen. Anschließend tanzte der Sieger noch um die von Soldaten bewachten
Standarten der Reiterstaffel. Die Standarten waren mit den langen Schweifhaaren
der Pferde geschnmückt.
In einer offenen Halle neben dem Stadion fand ein
Wettbewerb statt, der zur Sowjetzeit
verboten war und ausschließlich in der Mongolei bekannt ist, das
sogenannte „Knochenspiel“: Zwei
Mannschaften aus jeweils 6 bis 7 Personen kämpfen abwechselnd. Sie hocken in
einer besonderen Art in einem Abstand von 5 m zu einem Kasten mit davor aufgebauten, ca 2x2x2 cm großen
Würfeln. Die Spieler halten ein 20 cm langes Holzbrettchen in der Hand, darauf
liegt ein rechteckiges Hornplättchen (ca. 6x4x1 cm), das mit dem Mittelfinger
geschnickt werden muß. Die Spieler müssen bei jedem Schnick einen Würfel
treffen, wenn mehrere getroffen werden zählt immer nur einer. Die anderen
Würfel werden wieder aufgebaut. Wir erfuhren, dass 270 Teilnehmer gemeldet
waren im Alter von 5 bis 82 Jahren. Auch dort wieder keine Alters- oder
sonstige Klassen.
Wenige Meter entfernt befand sich das „Stadion“ der
Bogenschützen. Alle 180 Bogenschützen,
Männer und Frauen, in mongolischer Tracht. Die Männer schossen aus 50 m,
die Frauen aus 35 m Entfernung. Gezielt wurde auf das auf dem Boden stehende
Ziel aus Leder in der Dimension einer Coladose. Das Treffergebnis zeigten neben
den Zielen stehende Kampfrichter an, indem sie die Arme in einer bestimmten Art hoben oder winkten. Wer getroffen hat, hat
gewonnen. Theoretisch können alle Bogenschützen gewinnen. Der Staatspräsident
mit Gefolge kam vorbei und begrüßte die Teilnehmer und Gäste. Der
Ministerpräsident versuchte sein Glück mit dem Bogen, allerdings mit mäßigem
Erfolg.
Nebenher fanden weniger beachtete Radrennen und
Leichtathletikwettbewerbe statt.
Gegen Abend fuhren wir zur Tschingis Brauerei. Dort
gönnten wir uns eine Pfälzer Bratwurst mit Kraut und Kartoffelbrei, dazu
natürlich Tschingis Bier.
Abends in der Wohnung hat uns Zoloo Fragen zu Naadam
und zum Buddhismus beantwortet. Dabei kamen wir auf das Thema Reinkarnation
(Wiedergeburt in einem anderen Körper) im Allgemeinen und das ihrer Schwester
im Besonderen zu sprechen. Wir erfuhren, dass die Reinkarnation in der Mongolei
nichts außergewöhnliches sei. Man geht von einer Reinkarnation aus, wenn kleine
Kinder im Alter von 3 bis 4 Jahren, wenn sie also gerade zu sprechen angefangen
haben, Dinge erzählen, die ihnen niemand gesagt hat und die sie auch nicht
wissen können. Zoloos Schwester hat im Alter von 3 Jahren viele Dinge von ihrer
Großmutter, die schon vor ihrer Geburt gestorben war, erzählt, die nur die
Mutter noch wusste. Die ganze Familie ist sich deshalb sicher, dass sie die
Wiedergeburt ihrer Großmutter ist.
Montag, den 12. Juli um 7:00 aufgestanden. Morgens
war es noch angenehm kühl, es waren aber keine Wolken am Himmel und es schien
wieder ein sehr heißer Tag zu werden. Wir wollten heute zum Pferderennen und
Zoloo musste ein Ehepaar für zehn Tage in die Gobi begleiten. Sie brauchte
deshalb die Filzmatratze und ihren Schlafsack von Claus. Er erhielt stattdessen
eine andere Filzmatte und eine Decke. Sie hat sich mit Küsschen von uns
verabschiedet und uns ermahnt, ihr ja einen Mann zum Heiraten zu schicken.
Um 8:00 wurden wir abgeholt, in einem Hotel haben
wir noch 2 über 60 jährige Österreicherinnen und eine 50-jährige Italienerin
und deren Guide mitgenommen. Einen uns angebotenen Dolmetscher haben wir
abgelehnt, wir trauten uns zu, alleine klar zukommen.
Die Reiterwettbewerbe fanden außerhalb Ulaan Baatars
statt. Die Straße aus nordwestlicher Richtung war stadteinwärts für jeglichen
Verkehr gesperrt worden. Wir konnten deshalb in Zweierreihe eine Stunde lang in
endloser Schlange stadtauswärts fahren
bis wir unser Ziel, einen riesigen Talkessel erreichten. So weit das Auge
reichte kein Baum oder Strauch, nur Gras. Riesige Parkplätze für Tausende von
Autos waren markiert. Es wimmelte von Mongolen zu Fuß und zu Pferde. Zahlreiche
Jurten waren im ganzen Talkessel verstreut aufgebaut worden. Von
Polizeihundertschaften wurde eine mehrere Kilometer lange Strecke für den
Zieleinlauf der Reiter freigehalten. Weit über 100 000 Zuschauer waren an der
Rennstrecke und über die Hügel verteilt. Die gesamte Polizei der Mongolei
schien im Einsatz zu sein. Wir wurden von Polizisten angesprochen und vor
Taschendieben gewarnt.
Beim Pferderennen starteten Kinder, Jungen und
Mädchen, zwischen 6 und 10 Jahren. Die Pferde starteten in Alterklassen
zwischen 2 und 12 Jahren in einer Entfernung von 12 bis 35 km. Damit die
kindlichen Reiter bei dem anstrengendem Ritt in der prallen Sonne nicht
herunterfielen, waren viele von ihnen am Sattel festgebunden
Heute morgen sollte der Zieleinlauf der dreijährigen
Pferde stattfinden. Es ist das mit 300 Pferden am besten besetzte und
spannendste Rennen. Gegen 11:00 tauchte eine riesige Staubwolke am Horizont
auf, schätzungsweise 10 km entfernt, und ab und zu konnte man die Spiegelung
eines Begleitfahrzeugs in der Sonne erkennen. Hunderte Lautsprecher waren im
Tal und über die Hügel verteilt. Die Zuschauer wurden mit mongolischer Musik in
Stimmung gebracht. Es herrschte eine riesige Volksfeststimmung. Die Staubwolke
kam näher und die Zuschauer formierten sich. Die Tribünen waren schon lange
besetzt, jetzt begann das Gedränge auf den kleinen Hügeln hinter der
Absperrung. Dann kamen Reiter aus allen Richtungen und stellten sich, im Sattel
sitzen bleibend, hinter die dicht gestaffelten Zuschauer.
Claus betrachtete die näher kommenden Reiter mit
seinem Fernglas. Ein Mongole auf seinem Pferd sitzend wollte auch mal die näher
kommenden Reiter mit dem Glas ansehen. Claus gab ihm das Glas etwas
widerwillig, weil er fürchtete dass der Mongole abhauen könnte. Er gab das Glas
aber unversehrt zurück und ich fragte ihn, ob ein Sohn von ihm mitreiten würde.
Er erklärte stolz, zwei seiner Söhne würden mitreiten. Leider war keiner bei
den ersten im Zieleinlauf. Ein Junge in einem roten Hemd gewann. Er wurde
frenetisch bejubelt.
Gegen 13:00 beschlossen wir mit dem Handy in
Deutschland anzurufen. Claus’s Frau Annemarie hatte Geburtstag. In Deutschland
war es 6:00 morgens. Es hat geklappt und wir waren die ersten Gratulanten.
Danach hatten wir Hunger und wollten bei den
zahllosen Buden und Jurten etwas essen. Überall warteten die Mongolen in langen
Schlangen, um etwas zu Essen oder Trinken zu kaufen. Wir beschlossen, das
Mittagessen ausfallen zu lassen und stattdessen die etwas abgelegenen Jurten zu
besichtigen. Die erste Jurte machte einen sehr gepflegten Eindruck, mit
bemalter Eingangstür und einem Schild in mongolischer Sprache. Wir steckten
neugierig den Kopf hinein als eine freundliche Stimme rief „come in“.
Eine junge Mongolin begrüßte uns und wies auf kleine Holzbänke, wir sollten
Platz nehmen. Uns wurde ein Bonbon angeboten. Die fast neue Jurte war original
mongolisch mit 2 reich verzierten Stützen in der Mitte und den magischen 9 x 9
(also 81) Stangen für das Dach. Der Boden war mit einem Mongolenteppich
bedeckt. Dem Eingang gegenüber war ein kaltes Buffet angerichtet mit einem
gebratenen Hammel, 4 Sorten Wurst, Brot, Äpfel, Gurkenscheiben, Tomaten usw. In
den beiden Kühlschränken befanden sich Getränke und in einem blauen 50 l Faß
Ayrak, die bei Mongolen sehr beliebte vergorene Stutenmilch mit 3 – 4 %
Alkohol. Die freundliche Dame bot uns in einer großen, mindestens einen halben
Liter fassenden Schale Ayrak an. Claus hatte Angst vor möglichen Folgen und
lehnte ab, ich habe getrunken, es war sehr erfrischend und übrigens ohne
irgendwelche Folgen.
Ein westlich gut gekleideter Mongole kam ins Zelt,
schüttelte uns die Hand und wurde mit „our director“ vorgestellt, kurz darauf
kam „our vice director“, der uns ebenfalls die Hand schüttelte. Der Direktor
nahm hinter dem gebratenen Hammel Platz und schnitt handtellergroße Stücke
Fleisch und genau so große Stücke Speck ab. Zuerst wurden wir bedient, dann
reihum die zwischenzeitlich eingetroffenen, ebenfalls festlich gekleideten
Angestellten mit ihren Frauen. Die Angestellten haben kaum etwas gesprochen und
schienen sehr gehemmt, sie haben dann auch die erstbeste Gelegenheit genutzt,
um zu gehen.
Mein Versuch mit dem Direktor eine Unterhaltung in
Englisch zu beginnen, nachdem die freundliche Dame, seine Sekretärin gesagt
hatte er könne „a little bit English“, scheiterte leider. Es war kein Wort zu
verstehen. Wir einigten uns darauf, dass er mongolisches Englisch spricht und
ich deutsches Englisch und dass dies nicht zusammenpasse. Die Sekretärin hat
dann wieder ins Englische übersetzt. Wir konnten erfahren, dass der Direktor
Chef einer mongolischen Consultingfirma war, die mongolische Firmen in
Hygienefragen berät. Die Jurte war extra für die Firma für Naadam aufgebaut
worden. Die Sekretärin hatte alles im Griff, ich hatte den Eindruck, dass der
Direktor und sein Stellvertreter ohne sie ganz schön hilflos wären, nicht nur
in der Jurte, sondern wahrscheinlich auch im Büro.
Nach einiger Zeit fragte ich, was wir zu bezahlen
hätten und wurde prompt ausgelacht. Wir waren eingeladen. Bevor wir gingen
mussten wir allerdings noch, wie in der Mongolei üblich, drei Wodka trinken.
Der Direktor hatte ein Einsehen mit uns und er ließ es bei einem halben Glas
zuerst und dann zweimal ein viertel Glas voll. Wir verabschiedeten uns vom
Vizedirektor, der Sekretärin und dem Direktor, der uns noch nach draußen
begleitete und uns wie alte Freunde verabschiedete.
Zur Rückfahrt hatten wir mit unseren
Fahrtgenossinnen als Treffpunkt die blauen Zelte von Nomad Tours ausgemacht.
Sie hatten dort wie andere Touristen auch ein Mittagessen gebucht. Sie aßen
warmen Hammelbraten, Kartoffeln und Gemüse für 10 USD. Wir erzählten natürlich
ganz ausführlich von unserer Einladung.
Die beiden östereichischen Fregatten drängten auf Heimfahrt,
sie wollten sich abends die Folkloreveranstaltung ein zweites mal ansehen.
Nach einer Dusche und einer einstündigen Ruhepause
gingen wir zur Mongolenkneipe in unserem Viertel um ein Bier zu trinken. Außer
uns waren noch vier junge mongolische Frauen als Gäste anwesend, die immer
wieder kicherten nachdem sie sich umgedreht und die Nase von Claus bestaunt
hatten. Nach einem ganzen Tag in der prallen Sonne leuchtete sie besonders
schön.
Brot, Butter, Käse und Bier für das Abendessen
kauften wir im Supermarkt. Im Fernsehen verfolgten wir noch mal den
Tagesrückblick zu Naadam und die Siegerehrung durch den Staatspräsidenten. Die
ersten kleinen Reiter bekamen vom Staatspräsidenten einen Rucksack und von
seiner Frau eine Art Thermosflasche. Um den Händedruck und die Preise in
Empfang zu nehmen wurden sie von Helfern hoch gehoben, denn sie waren so klein
dass sie nicht über die Ballustrade sehen konnten.
Dienstag, den 13. Juli um 7:30 aufgestanden. Blauer
Himmel, morgens 20 Grad und nachmittags mehr als 30 Grad warm.
Wir sind noch einmal zum Gandan Kloster gefahren um
es alleine in Ruhe anzusehen. Weil es der dritte Naadamtag und damit Feiertag
war, waren dort sehr viele Menschen. Neben den üblichen Touristen waren viele
Nomaden zu sehen die von den Lamas Gebete lesen ließen. Wir besichtigten die
angrenzende Jurtensiedlung (es handelt sich eher um einen Slum). Seit der
großen Dürre vor 3 Jahren, als der größte Teil des Viehs der Nomaden verendete,
sind viele von ihnen an den Rand von Ulaan Baatar gezogen, versuchen aber immer
noch wie auf dem Land zu leben.
Auf dem Rückweg fiel uns ein kleines Kloster auf,
das in unserer Touristenkarte nicht verzeichnet war. Wir besichtigten das
Kloster und setzten alle erreichbaren Gebetstrommeln wie gewohnt in Schwung,
immer im Uhrzeigersinn.
In einem koreanischen Restaurant zu Mittag gegessen,
scharf und gut, mit Stäbchen. Zum Abendessen fuhren wir zur Tschingisbrauerei.
Dort haben wir Vait Scholz getroffen, den wir wegen unseren, für den nächsten
Tag geplanten Ausflug in das Naturschutzgebiet Tereldsch, sowieso anrufen
sollten.
Scholz fliegt jedes Jahr nach Deutschland in Urlaub
und bringt von dort ein Auto, z.B. Ford Transit mit in die Mongolei. Er braucht
in der Regel für die 7.000 km eine Woche. Er hat 6 Autos laufen und fährt
selbst ein BMW Motorrad. Bevor er sich selbständig machte war er bei der
dortigen Mercedesniederlassung angestellt.
Scholz erzählte uns, dass es in der Mongolei einen
jährlichen TÜV gebe. Der TÜV Rheinland hat die notwendigen Gerätschaften
einschließlich Abgasuntersuchung über die deutsche Entwicklungshilfe
installiert. Wie wir selbst sehen konnten waren jedoch die meisten privaten und
auch Behördenfahrzeuge in Ulaan Baatar
in einem erbärmlichen Zustand, die meisten hätten eigentlich sofort
stillgelegt werden müssen. Scholz klärte uns über die Realität auf. Er sei mit
einem seiner Fahrzeuge zum TÜV gefahren und musste warten. Wenn ein Mongole an
der Reihe war ist er vorgefahren und hat den Motor abgestellt. Nach einigen
Minuten hat der TÜV Prüfer die Abgassonde in den Auspuff gesteckt und natürlich
nichts gemessen, also alles in Ordnung. Eine technische Prüfung fiel aus weil
zu viele Autos warteten. Alle Autos bekamen die Prüfplakette, egal in welchem
Zustand sie waren. Als Scholz drankam und die Prüfer seine Herkunft erkannten,
wurde alles sorgfältig nach deutschen Regeln geprüft. Weil ein Lämpchen defekt
war erhielt er keine Plakette und sollte wiederkommen. Scholz hat daraufhin mit
seinem Polizisten im Viertel gesprochen und seither besorgt dieser für wenig
Geld und ohne jede Prüfung die Plaketten und klebt sie sogar eigenhändig an die
Fahrzeuge. Ein Beispiel für erfolgreiche deutsche Entwicklungshilfe.
Scholz erzählte auch von seiner Geschäftsgründung.
Normalerweise kostet so was 15 USD und dauert ein halbes Jahr bis alle
Genehmigungen eingeholt, alle Formulare gestempelt und die Eintragungen
vorgenommen sind. Nach seiner Frage ob es auch schneller ginge wurde dies
bejaht, koste aber 700 USD. Auf seine Frage wie schnell wurde ihm geantwortet:
Heute Nachmittag um 17:00. Nach 350 USD Anzahlung erhielt er um 16:30 den
Anruf, es sei alles fertig einschließlich Eintragung bei der IHK. So seien die
täglichen Geschäfte und kein Mongole käme je auf die Idee darunter Korruption
zu verstehen.
Mittwoch, den 14. Juli um 8:00 aufgestanden.
Strahlend blauer Himmel, morgens um 20 Grad, mittags mehr als 30 Grad warm. Wir
wollten eigentlich um 10:00 in das Naturschutzgebiet nach Terelj fahren. Bei
einem Check der Fahrkarten stellten wir jedoch mit Schrecken fest, dass sie
erst für den 16. und nicht wie abgesprochen für den Morgen des 15. ausgestellt
waren. Anruf bei Scholz, nach Rücksprache mit seiner Sekretärin teilte er mit,
sie habe für den 15. keine Fahrkarten mehr bekommen und deshalb die für den 16.
gekauft. Leider hatte sie vergessen ihm oder uns das mitzuteilen. Auch der
nochmalige Versuch zusammen mit der Sekretärin am VIP Schalter eine Fahrkarte
für den 15. zu bekommen scheiterte, der Zug nach Peking war bis auf den letzten
Platz ausverkauft. Scholz entschuldigte sich, übernahm die Übernachtungskosten
für einen Tag und stellte uns seinen Ford Transit mit Fahrer für den Rest des
Tages kostenlos zur Verfügung. Wir fuhren in die Berge in ein
Naherholungsgebiet und machten einen Waldspaziergang.
Zum Abendessen fuhren wir wieder zur Tschingis
Brauerei und aßen mongolische Grillwurst (mehr Fleisch- als Bratwurst) mit
Reis, Pommes, Kraut- und Kartoffelsalat. Deutsche Monteure erzählten von ihren
letzten Handgriffen beim Bau einer neuen Brauerei, die mehr Bier brauen könne
als Tschingis- und Khanbräu zusammen. Man spekuliert wohl auf einen Export nach
China, denn noch viel mehr Bier als jetzt schon können die Mongolen schwerlich
trinken. Die neue Brauerei läuft fast vollautomatisch. Im Produktionsprozeß sind
Analyseautomaten integriert, die über Internet ihre Ergebnisse nach
Weihenstephan melden, von dort werden dann, wiederum über Internet, die Regler
und Ventile gesteuert. Vor Ort werden nur noch Hilfskräfte benötigt.
Abends mussten wir zum ersten mal auf Immodium
zurückgreifen. Wir rätselten über die Ursache, entweder war der Krautsalat
schuld oder das eiskalte Wasser nachmittags.
Donnerstag. den 15. Juli um 7:30 aufgestanden.
Strahlend blauer Himmel, morgens 20 Grad und nachmittags wieder mehr als 30
Grad warm. Unser Fahrer sollte uns wieder mit dem Ford Transit um 9:30 abholen.
Während wir vor dem Haus warteten warf eine Frau wie selbstverständlich aus dem
5. Stockwerk eine Plastikflasche in die „Grünanlage“.
Die Fahrt nach dem 70 km entfernten Terelj führte
über eine zwar geteerte Straße, aber Schlagloch an Schlagloch. Wir fuhren über
Holzbohlenbrücken mit teilweise durchgefaulten Bohlen. Leider lag auch sehr
viel Müll in der Landschaft. Weil die Stoßdämpfer des Ford, wie bei fast allen
Autos in der Mongolei, praktisch außer Funktion waren, wurden wir ganz schön
durchgeschüttelt.
Im 70 km nordöstlilch von Ulaan Baatar gelegenen
Naturschutzgebiet Terelj leben
mongolische Nomaden. Sie züchten Pferde, Rinder, Schafe, Ziegen,
zottelige Yaks und gelegentlich Kamele. Auch die ursprünglich in der Mongolei
beheimateten Kowalski Pferde werden wieder gezüchtet. Nachdem sie vor einigen
Jahren fast ausgestorben waren wurden sie aus einem kleinen hölländischen
Bestand zurückgezüchtet.
Felsformation, natürliche Steingärten, artenreiche
Magerwiesen vergleichbar der Vegetation auf Hochalmen in den Alpen. Ein
Berghang war voll mit Enzian.
Wir machten zahlreiche Fotostops. Ein halbstündiger
Ritt auf einem Mongolenpferd reichte mir als Erfahrung um auf zukünftige
größere Touren zu verzichten. Claus hat von Anfang an verzichtet.
Mittags hatten der Fahrer und ich mongolisch
gegessen, Claus gab sich mit einer Cola zufrieden, er fühlte sich müde und
schlapp. Auf dem Rückweg haben wir dann noch ein etwas abseits an einem
Berghang gelegenes Jurtencamp besichtigt und 1 ½ l Cola für umgerechnet 60 Cent
getrunken. Eine Jurte ist zum Übernachten für jeweils 4 Personen eingerichtet.
Auf dem sauberen Holzfußboden standen 4 Betten mit jeweils einem Schränkchen
zwischen 2 Betten. In der Mitte ein Tisch, darauf eine Thermoskanne mit kaltem
Wasser und 4 Gläsern. Ein Holzofen und daneben ein Sack Holz. Ein Abfalleimer
neben dem Eingang vervollständigte die Einrichtung. Eine Toilettenanlage für
das gesamte Camp befand sich in einer Ecker der Anlage, ca. 50 bis 100 m von
den einzelnen Jurten entfernt. Nachts brennt dort eine Lampe damit die
Touristen den Weg finden.
Terelj ist für viele Gruppenreisende durch die Gobi
die letzte Station für zumeist 2 oder 3 Tage. Sie erholen sich dort von den
Strapazen und besuchen das nahe Ulaan Baatar bevor sie abreisen.
Bei der Rückkehr war eine Straßengebühr?/ oder
Eintrittsgebühr für Ulaan Baatar in Höhe von umgerechnet 40 Cent fällig. Unser
Fahrer fuhr uns zuerst zum Büro von Scholz wo wir die Restzahlung leisteten. Er
fragte so nebenher, ob auf der Transib alles geklappt hätte, denn in der
Vergangenheit gab es häufig Überfälle, die seien jetzt aber seltener.
In der Wohnung holte die angehende Ärztin, nachdem sie Claus hat leiden gesehen, eine Kiste mit Medikamenten. Die meisten stammten aus der Schweiz und waren ihr wohl von den Schweizer Motorradtouristen geschenkt worden. Zum Glück war noch eine Packung Immodium dabei. Claus hat dann auch sehr bald fest geschlafen. Wir fanden zudem unsere schmutzigen Hosen gewaschen und gebügelt vor.
Spätabends habe ich dann mit der Schwester von Zoloo
auf dem Balkon gesessen und zum erstenmal ein längeres Gespräch mit ihr
geführt. Sie hat von ihrer Ausbildung und speziell ihrem Studium in Peking und
von ihrer Familie erzählt. Sie lernt zwar gleichzeitig deutsch und englisch in
der Abendschule, spricht und versteht aber wesentlich mehr englisch.