Hans Gleich (2004): „Von Egelsbach nach Peking – eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn“

Egelsbach – Moskau     Moskau – Irkutsk     Irkutsk – Ulan-Bator     Ulan-Bator – Peking

 

Gegen 18:00 haben wir die Koffer abgeholt und sind mit dem Taxi zum Jaroslawl-Bahnhof gefahren. Dort herrschte dichtes Gedränge. Ganz Russland schien unterwegs zu sein. Die meisten Leute hatten anstelle von Koffern große quadratische, bunte Plastiksäcke (Bags) dabei. Diese Säcke haben offenbar in ganz Russland und wie wir später sehen konnten, auch in der Mongolei, die Koffer oder anderes Reisegepäck ersetzt. Vereinzelt hatten die Leute auch Kleintiere, z.B. Tauben, in Käfigen dabei.

 

Nachdem wir einen Vorrat Wasser, Brot und Wurst eingekauft hatten warteten wir neben der Polizeistation auf das Eintreffen unseres Zuges. Mit uns wartete ein Franzose mit seinem Sohn und ein dänisches Ehepaar, die über Stockholm und Helsinki angereist waren. Nach fast zweistündigem Warten lief endlich der Zug Nr. 2, der legendäre „Rossija“ ein. Der Rossija fährt ganzjährig an ungeraden Tagen ab Moskau nach Wladiwostok. Es ist der „Paradezug“ der russischen Staatsbahn, die „eigentliche“ Transsib. Unser Abteil befand sich im Waggon 7, Plätze 1 und 2. Dem Typenschild entnahmen wir, dass der Waggon in der ehemaligen DDR in Ammendorf gebaut worden war. Nachdem wir bei unserem  Schaffner Wassili, der ein bisschen Englisch konnte, unsere Fahrkarten abgegeben hatten bezogen wir unser Abteil. Koffer bzw. Rucksack wurden ausgepackt und alles verstaut. Die Betten haben wir mit der von Wassili zur Verfügung gestellten sauberen Bettwäsche bezogen. Auf dem Tisch lagen mehrere tagesfrische russische Zeitungen und Illustrierte. Wassili wurde unterstützt von Galina, einer jungen Schaffnerin, die Nachtwachen hielt, die Toiletten häufig putzte, täglich in den Abteilen Staub saugte und auch ab und an die Fenster putzte. Außerdem war es ihre Aufgabe, bei jedem Halt die Haltegriffe zum Ein- und Aussteigen abzuwischen.

 

Unser Abteil hatte Panoramafenster mit Stores und grünen Übergardinen, Teppiche im Abteil und auf dem Gang. Man sah, dass die Fenster frisch geputzt worden waren. Neben Deckenleuchten befanden sich bei jedem Bett zusätzlich Leselampen. Zwei große gegenüberliegende Spiegel vergrößerten das Abteil optisch um ein Vielfaches. Eine Schukosteckdose für Rasierer, ein Fernseher, der von Wassili zentral mit seinen Lieblingskassetten gespeist wurden. Auch in diesem Waggon befand sich gegenüber dem Abteil des Schaffners ein Samowar, allerdings mit Heizöl betrieben. Rund um die Uhr stand uns 95 Grad heißes Wasser zur Verfügung. Während der ersten Stunde Fahrt kamen immer wieder Frauen vorbei und boten alles mögliche, z.B. verschiedene Gläser, Tücher usw. zum Verkauf an.

 

Wir haben uns erst mal einen Cappuccino gemacht und dann Brot und Wurst gegessen. Gegen 22:30 brachte Wassili eine Plastikschale mit folgendem Inhalt: Keks, Butter, Käse, Salami, Salz, Pfeffer, Ketchup, Tee, Nescafe, Zahnstocher und Serviette. Dafür hatten wir keine Erklärung, dieser Service war in keinem Reiseführer erwähnt. Anschließend brachte er noch für jeden eine große Flasche Wasser und einen Apfel. Nebenbei fragte er, ob wir auch Schweinefleisch essen würden. Wir bejahten dies und 10 Minuten später bekamen wir Schweineschnitzel mit Reis serviert. Nach einigen Mühen bekamen wir aus Wassili heraus, dass wir als Reisende der Business Class mit der Fahrkarte das Frühstück (das war die Plastikschale) und ein Essen bezahlt hätten. Vom nächsten Tag an hatten wir die Wahl zwischen einem freien Mittag- oder Abendessen und dazu eine Flasche Bier im Speisewagen.

 

Im Nachbarabteil fuhr ein junges Pärchen aus Paris mit. Die beiden Betriebswirtschaftler hatten sich 3 Monate frei genommen (in Frankreich hat jeder das Recht bis zu 11 Monaten frei (Sabbatical) zu nehmen) und waren auf dem Weg nach Peking, Laos, Malaysia, Myanmar usw. Die beiden haben wir  nach zwei Tagen auf die gebuchte Halbpension hinwiesen. Weil sie am ersten Abend in Unkenntnis abgelehnt hatten, war für Wassili die Sache wohl erledigt gewesen.

 

Die Nachtfahrt ging durch flaches Land mit Mischwäldern mit hohem Birkenanteil, ab und an ein typisch russisches Dorf mit bunten Holzhäusern, Schuppen, Plumpsklo in einer hinteren Gartenecke, manchmal Ziehbrunnen, einen den Garten dominierenden Kartoffelacker, das ganze war mit einem Staketenzaun umgeben. Die Wege in den Ortschaften und zu den Häusern, aber auch von Ort zu Ort waren unbefestigte Naturwege.

 

Nach 282 km hatten wir in Jaroslawl, einer der ältesten Stadt Russlands, den ersten 10 minütigen Aufenthalt.

 

Nach 357 km hielten wir für 20 Minuten in Danilow, einem wichtigen Bahnknoten zwischen Moskau, St. Petersburg und Sibirien.

 

Nach 701 km passierten wir die Industriestadt Scharja, die wie die ganze Region von der Holzverarbeitung lebt.

 

Am Mittwoch, den 30. Juni um 7:00 aufgestanden. Eine halbe Stunde lang Nieselregen, aber angenehme Temperaturen um 20 Grad. Claus hat wieder gut, ich überhaupt nicht, geschlafen. Das Bett war mit 190 cm zu kurz für mich und außerdem viel zu hart.

 

Gegen 9:00 brachte Wassili die tägliche Plastikbox mit dem Frühstück, außerdem für jeden einen Apfel und eine Flasche Wasser.

 

Um 10:15 in Vjatka (Kirow), dem Verwaltungszentrum am Fluß Wjatka mit langer Verbannungstradition unter den Zaren, 20 Minuten Halt. Auf dem Bahnsteig wimmelte es von Menschen, die Bekannte abholten oder zum Zug begleiteten. Wenn bei den Russen einer verreist geht offenbar die ganze Familie mit zum Abschied. Es herrschte auch ein reger Handel mit allem was Reisende unterwegs brauchen oder kaufen könnten. 

 

Auf dem Bahnsteig hat Claus eine ungarische Balletteuse kennengelernt. Sie erzählte begeistert von ihrem letzten Engagement in Berlin bei einem berühmten Choreographen, mit dessen Namen wir allerdings nichts anfangen konnten. Sie war auf dem direkten Weg nach Wladiwostok und wollte dann von dort zurück und längere Zeit am Baikalsee verbringen.

 

Die rote Erde in der Kirower Region scheint sehr fruchtbar zu sein. Wir sahen viel Landwirtschaft und gepflegte Gärten. Frauen hüteten Ziegen oder eine Kuh neben den Feldern. Ansonsten viele halbfertige Fabrikgebäude, die schon verfallen bevor sie fertiggestellt sind und leerstehende ehemalige Fabriken. Außerdem lag viel Müll in der Landschaft herum. 

 

Beim Halt auf einem Bahnhof hinter Kirow fuhr auf dem Nebengleis der 10 Minuten nach uns fahrende 24er nach Ulaan Batar ein. Der Franzose aus Schweden kam freudestrahlend auf uns zu und wir begrüßten uns wie alte Bekannte. Auf dem Bahnsteig wurden wieder Brot, Eier, Gemüse, Joghurt, Bier, Wasser, Walderdbeeren und vieles mehr angeboten. Die Russen haben besonders häufig Zwiebeln mit Schloten gekauft und diese zwischen den Mahlzeiten gegessen. Wir haben sicherheitshalber etwas Abstand gehalten.

 

Nach dem kurzen Nieselregen am Morgen schien für den Rest des Tages die Sonne und es war 25 bis 30 Grad warm.

 

Nachmittags erreichten wir Perm mit ihrer Plattenbausilhouette, die Heimatstadt des Nobelpreisträgers Boris Pasternaks (Dr. Schiwago). Die 1,1 Millionen Einwohner zählende Stadt Perm an der Kama war wegen ihrer militärischen Anlagen und Schwerindustrie für Ausländer bis 1991 tabu.

 

Eine große Enttäuschung war das Uralgebirge, das wir zwischen km 1600 und 1900 durchquerten. Die Fahrt ging durch mehr oder weniger flaches Land. Weil der Zug das bis zu 1886 m hohe Gebirge in 450 m ü.N.N. durchquert, war von Bergen, geschweige denn Gebirge keine Spur. Alles was wir sahen war eine schön anzusehende hügelige Birkenlandschaft.

 

Nach km 1818 hielten wir für 20 Minuten in der 1,4 Millionen Einwohnerstadt Jekaterinburg. Zur Sowjetzeit hieß die Geburtsstadt Boris Jelzins Swerdlowsk. 1992 wurde die von dem Zar Peter dem Großen 1723 gegründete Stadt wieder nach Jekaterinburg, zu Ehren der Zarin Katharina I umbenannt. Bekannt ist Jekaterinburg vor allem durch die Ermordung der letzten Zarenfamilie in 1918 durch den Arbeiterführer Swerdlow.

 

Zum Abendessen im Speisewagen trafen wir Rudi und Rudolf, die beiden Berufsschullehrer aus Fulda. Wir aßen Soljanka und einen Gurken-Tomatensalat, dazu ein Bier. Blaue Polstersitze, viel Schmiedeeisen und zahlreiche Spiegel wirkten solide und hatten einen gewissen Charme. Nicht immer frische Tischdecken, Vorhänge  und 2 Fernseher, Lampen und Flaschenhalter vervollständigten die Einrichtung. Die Kellnerin legte ein Bilderbuch vor mit dem wir versuchten unser Essen zusammenzustellen. Es waren keine Menus abgebildet, sondern z.B. Kartoffeln, Zwiebeln, verschiedenes Fleisch usw.

 

Am 1. Juli um 6:00 Moskauer Zeit (8:00 Ortszeit) aufgestanden. Auf der gesamten Transsib, egal in welcher Zeitzone, gilt grundsätzlich immer Moskauer Zeit. Die Bahnhofsuhren zeigen deshalb immer die Moskauer Zeit und nie die Ortszeit an. Seit 3:00 Uhr war es hell und die Sonne schien ins Abteil. Wir hatten die Großstadt Tjumen, „die Mutter der sibirischen Städte“, nach 2144 km passiert. Während wir im Abteil frühstückten, durchfuhren wir das zumeist sumpfige Tjumener Becken. Dort wurden 25.000 Flüsse und mehr als 500.000 Seen gezählt. Die Großstadt mit mehr als 400.000 Einwohnern profitiert von den riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen im Norden der Stadt.

 

Um 12:00 Moskauer Zeit, nach 2716 km, erreichten wir die 1,2 Millionen Einwohner zählende Großstadt Omsk am Ufer der Irtysch. Zwischen 1849 und 1853 war Dostojewski dort verbannt. Wie überall auf den Bahnhöfen entlang der Transsib waren viele Menschen auf dem Bahnsteig, leider auch Betrunkene. Männer und Frauen mit Bier- oder Wodkaflaschen in der Hand liefen zu allen Tages- und Nachtzeiten in ganz Russland herum. Während des 20-minütigen Halts kauften wir uns auf dem Bahnsteig ein Eis. Es hat gut geschmeckt und war mit unserem deutschen Eis durchaus vergleichbar. 

 

Mittagessen zusammen mit Rudi und Rudolf  im Speisewagen. Es gab Schweinesteak, Kartoffeln, der obligatorische Tomaten/Gurkensalat auf den Claus immer bestand, ich jedoch schon mal verzichten konnte. Zum Abendessen wollten wir Kaviar essen. Damit hatten wir den Speisewagenchef allerdings in Verlegenheit gebracht. Er hatte keinen Kaviar an Bord und konnte auf die Schnelle auch keinen besorgen. Zum Abendessen gab es deshalb für jeden 2 Flaschen Bier, Brot, Wurst, Salat für Claus. Der Speisewagenchef spendierte eine Flasche sehr guten Wodka und eine Flasche Schampanski. Dass es schon spät war merkten wir daran, dass Marina, die Bedienung plötzlich im Nachthemd im Speisewagen herumhüpfte. Während wir aus kleinen Gläschen den Wodka nippten trank der Speisewagenchef aus einem großen Glas. Er verließ uns dann aber sehr plötzlich, nicht ohne Spuren auf dem Gang zu hinterlassen. Rudolf und ich nutzten die Gelegenheit und verabschiedeten uns. Claus und Rudi mussten bleiben und den restlichen Wodka und die ganze Flasche Schampanski austrinken. Nach einer Stunde tauchte Claus leicht lädiert auf und brummelte etwas von „aus dem Staub gemacht“. Er schlief dann sehr schnell ein.

 

Spätabends erreichten wir nach 3040 km Barabinsk. Die kleine, nur 35.000 Einwohner zählende Stadt liegt in der Waldsteppenzone. Die Region lebt von Milchwirtschaft und Fischzucht in den vielen Tausend Seen. Am Bahnsteig wurden deshalb auch goldbraun glänzende Räucherfische angeboten.

 

Um Mitternacht passierten wir nach km 3343 die mit 1,5 Millionen Einwohnern größte Stadt Sibiriens, Nowosibirsk. Heute ist die Stadt ein bedeutendes wirtschaftliches und kulturelles Zentrum mit drei Universitäten, 15 Hochschulen und ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt.  Beim 20-minütigen Halt ist kaum jemand ausgestiegen.

 

Nach 3488 km erreichten wir die vierte Zeitzone, Moskauer Ortszeit plus 4 Stunden.

 

Freitag den 2. Juli um 5:00 Moskauer Zeit (9:00 Ortszeit) aufgestanden. Die Sonne schien und  angenehme 19 Grad. Draußen zog eine sanfte Hügellandschaft mit kleinen Kiefernwäldern vorbei.

 

In der Großstadt Krasnojarsk überquerten wir den wasserreichsten Strom Russlands, den Jenniseij. Die Stadt wurde 1628 durch Kosaken (Anhang) gegründet. In der weiteren Umgebung von Krasnojarsk fallen die vielen verstreuten Datschen und die schlossähnlichen „Kottedsches“ (haben die Russen aus dem englischen cottages übernommen) auf. Wir lernten, dass eine Datscha ein hölzernes Sommer- bzw. Wochenendhaus auf dem Lande ist und dass es sich bei einer Ispa um ein hölzernes Bauernhaus handelt. Die Fensterrahmen und -läden dieser Häuser sind meistens hellblau, grün und weiß angemalt. Bei den Farben handelt es sich bei den ersten beiden um die Farben der russisch-orthodoxen Kirche: Hellblau symbolisiert den Himmel und grün die Erde. Die russischen Bauern glauben, dass Gott diese Farben besonders schätzt und deshalb des öfteren durch das Fenster nach dem Rechten schaut. Der weiße Anstrich soll Insekten abhalten. Der neueste Trend in Russland sind die Kottedsches. Die Neureichen bauen meist mehrstöckige Villen, die in ihren Ausmaßen und ihrer protzigen, oft schlossähnlichen Architektur an die riesigen Prunkvillen der Gründerzeit erinnern.  

 

Auf dem Bahnsteig in Krasnojarsk hat Claus ein Marmeladenhörnchen und eine Quarktasche für 15 Rubel (ca 50 Cent) erstanden, für den nachmittäglichen Cappuccino. Mittags gab es Geschnetzeltes mit Reis.

 

Landschaft und Dörfer beiderseits der Bahnlinie sahen immer gleich aus. Russisches Bauernhaus, Plumpsklo in einer Gartenecke, gepflegter Kartoffelacker und ein Staketenzaun drumherum. Die schwarze Erde dort ist offenbar sehr fruchtbar.

 

Um 13:15 erreichten wir Itanskaja, wo wir beim Halt auf dem Bahnsteig 2 Bananen kauften. Vormittags war es leicht bewölkt gewesen, Nachmittag schien dagegen die Sonne. An der Bahnstrecke wechselten Kiefernwälder und Mischwälder mit vielen Fichten darin ab. Dazwischen großes offenes Weideland. Die Landschaft sah aus wie eine Parklandschaft.

 

In Tajschet, nach 4522 km, sind die beiden Berufsschullehrer ausgestiegen. Sie wollten einen Tag und eine Nacht in einem typisch sibirischen Dorf verbringen. Galina hatte beim Saubermachen Rudis Lesebrille gefunden. Wir nahmen sie mit weil wir uns in Irkutsk verabredet hatten.

 

Fünfzehn Minuten Aufenthalt nach 4941 km in Zima. Der Name des mit 25.000 Einwohnern kleinen Städtchen an der Oka bedeutet „Winter“. In der entsprechenden Jahreszeit soll es dort immer besonders kalt sein.

 

Mitten im dichten Wald der sibirischen Taiga am Ufer der Angara hielten wir für zwei Minuten in Angarsk. Die moderne Großstadt 50 km vor Irkutsk, mit mittlerweile mehr als 200.000 Einwohnern wurde erst Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts gegründet.

 

Am Samstag, den 3. Juli sind wir pünktlich um 7:15 Ortszeit bei Sonnenschein und 18 Grad in Irkutsk (Anhang) angekommen, nach 5191 km Fahrt von Moskau in östlicher Richtung. 

 

Ein Mitarbeiter von Joury Nemirovsky, der uns die Transsib Fahrkarten nach Deutschland geschickt hatte, sprach uns an und nahm uns mit in sein Büro im Interhotel. Dort erhielten wir die Bettkarten nach Ulaan Batar, die bereits von Deutschland aus bezahlt worden waren.

 

Zu Fuß sind wir dann 15 Minuten bis zu unserem Hotel Angara gegangen. Das Hotel Angara ist zentral gelegen und die Stockwerke 5, 6 und 7 sind lt. Prospekt modern und sehr komfortabel eingerichtet. Auch das in allen guten russischen Hotels vorhandene Spielkasino fehlte nicht. Leider hatten wir ein billiges Zimmer im vierten Stock gebucht. Unser Zimmer war nicht klimatisiert, Möbel und Bad waren schäbig und die Matratzen durchgelegen. Der Linoleumfußboden war abgenutzt und im Bad wackelte alles was man anfasste. Der Duschvorhang war eingespart worden, Heiß- und Kaltwasser standen jedoch unbegrenzt zur Verfügung. Bei Außentemperaturen tagsüber von mehr als 30 Grad vermissten wir die Klimaanlage doch sehr. Aus dem Fenster blickten wir auf die Hauptstraße mit einem dahinterliegenden Park, dem Rathaus und dem Gebäude der Regionalregierung.

 

Mittagessen in einem chinesischen Restaurant. Das Bestellen war bei der russisch/chinesischen Speisekarte sehr schwierig. Englisch oder Deutsch verstand auch niemand und zum direkten Aussuchen durfte ich auch nicht in die Küche.  Wir bestellten dann Reis, Fleisch und Gemüse, das andere Russen bereits aßen und auch für uns genießbar schien.

 

Wir besichtigten dann den Zentralmarkt, das große Kaufhaus, bummelten über die Hauptstraße und die Fußgängerzone zur Angara. Auf dem Rückweg besuchten wir das Cafe Wien auf einen Kaffee und ein Stück Torte.

 

Der in einer großen Halle stattfindende Zentralmarkt in Irkutsk ist sehenswert. Saure Sahne, Kefir und Hüttenkäse wird lose aus Eimern heraus verkauft. Während Hammel- und Rindfleisch fast ausschließlich von mongolischen Frauen und einigen Männern angeboten wird, werden die übrigen Waren ausschließlich von Russen verkauft. Aufmachung und Sauberkeit kann mit westlichen Märkten mithalten.

 

In Irkutsk leben sehr viele Mongolen, viele arbeiten auf dem Bau oder sind mit Arbeiten beschäftigt, für die sich nicht mehr so viele Russen finden.

 

In der Stadt gibt es alle paar Meter Kioske. Sie führen Zeitungen, Zeitschriften, Zigaretten, Getränke, auch Bier und Wodka. Fast alle Russen rauchen, als hätten sie noch nie gehört dass Rauchen Lungenkrebs verursacht. Sie schmeißen auch ihre Zigarettenkippen einfach weg, egal wo sie sind. Fast jeder Vierte läuft mit einer Bierflasche in der Hand herum und abends sieht man häufig Betrunkene.

 

Der Reiseführer empfahl uns das Restaurant Schweijka. Dort haben wir im schönen Biergarten bei Live Musik Omul gegessen. Die dazubestellten Kartoffeln haben Bedienung (oder Koch?) einfach vergessen. Zwei sich abwechselnde Russen mit sehr schönen Stimmen unterhielten die Gäste, die häufig die bekannten russischen Lieder mitsangen. Gegen 23:00 gingen wir ins Hotel.

 

Sonntag, den 4. Juli um 7:00 aufgestanden. Unser kleiner Frühstücksraum war im dritten Stock. Nur 7 Tische für jeweils 4 Personen, das Personal bestand aus drei Frauen, die fast ständig vor dem offenbar rund um die Uhr laufenden Fernseher saßen. Es gab Nescafe, heißes Wasser aus einer Thermoskanne, Butter, Milch, Käse, Joghurt, Müsli und Trockenobst,  weißer, trockener Quark, dunkles und weißes Brot und kalt aufgeschnittene Zunge.

 

Weil Sonntag war, haben wir die Polnische Kirche, die Christi Erscheinungskirche und die Erlöserkirche besichtigt. In der letztgenannten haben wir an einer orthodoxen Messe teilgenommen. 

 

Eine junge Russin führte uns durch das als Dekabristenmuseum hergerichtete Walkonski Haus. Auf dem Rückweg haben wir dann weitere Dekabristenhäuser besichtigt. Die Bezeichnung „Dekabristen“ stammt von dem russischen Wort dekabr für Dezember. Mit Dekabristen wurden die Teilnehmer des Aufstandes bezeichnet, der am 26. Dezember 1825 in St. Petersburg ausbrach. Geheimbünde der jungen Gardeoffiziere des Zaren verlangten eine neue Verfassung nach westlichem Vorbild. Der Aufstand wurde rasch niedergeschlagen. Fünf der Verschworenen wurden gehenkt, die anderen nach Sibirien verbannt, u.a. nach Irkutsk. Für Sibirien waren sie die Kulturbringer und Kulturverbreiter, da sie in der Verbannung großen Einfluß auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben ausübten.

 

Auf dem Weg in die Innenstadt Rudi und Rudolf getroffen. Die beiden wohnten privat bei der bekannten russischen Dichterin und Schauspielerin Malachnikowa. Wir besichtigten gemeinsam die Innenstadt und beschlossen abends in die Oper zu gehen. Wir kauften deshalb schon mal die Tickets für 200 Rubel pro Person (ca. € 6,50).

 

Nachmittags hatten wir uns im Cafe Wien verabredet, wo ich Rudi die Brille übergeben konnte, die er noch gar nicht vermisst hatte. Ich trank Tee und aß ein Stück Kuchen. Claus, Rudi und Rudolf wollten Kaffee und Kuchen. Der Kuchen kam, aber kein Kaffee. Nach Reklamation wurde ihnen zu verstehen gegeben, es gäbe keinen Kaffee, weil wegen einer Reparatur kein Wasser da wäre. Es gab zwar Tee, aber keinen Kaffee. Sibirische Logik.

 

Um 19:00 begann die Oper. Anfangs rätselten wir was gespielt wurde. War es Figaros Hochzeit oder der Barbier von Sevilla? Auf den ausschließlich in russisch geschriebenen Anzeigeplakaten und Tickets konnten wir den Namen Rossini entziffern. Demnach war es der Barbier von Sevilla. Der Hauptdarsteller war ein Mongole mit einer herrlichen Stimme.

 

Nach der Oper gingen wir gemeinsam in einen Biergarten mit Live Musik in der Ulica Leninskaja. Es gab Piwo (Bier) und Bratwurst mit Salat. Um Mitternacht müde ins Bett gefallen.

 

Montag, den 5. Juli um 6:30 aufgestanden. Heute wollten wir einen Ausflug mit der Raketa, einem 80 Stundenkilometer schnellen Tragflügelboot, über die Angara zum 70 km entfernten Baikalsee machen. Nach dem Frühstück versuchten wir deshalb mit dem Marschroutentaxi Nr. 16 zum Raketa Terminal zu fahren. Marschroutentaxis sind in Irkutsk allgegenwärtig. Es handelt sich um Kleinbusse in der Kategorie VW Bus oder Ford Transit Bus. Hunderte dieser Kleinbusse fahren den ganzen Tag festgelegte Strecken ab und halten auf Handzeichen oder an Haltestellen. Man hatte uns gesagt, die Nr. 16 fährt zum Raketa Terminal. Jedoch, alle Minibusse mit der Nr. 16, die wir anhielten sagten sie führen woandershin. Weil die Raketa um 9:00 Uhr abfahren sollte und die Zeit knapp wurde, wir hatten auch noch keine Tickets, sind wir mit einem normalen Taxi für 100 Rubel (3,30  €) gefahren. Der Fahrer hatte offenbar tags zuvor das Formel 1 Rennen gesehen, denn er fuhr sehr extrem, fuhr z.B. über Gehwege und über einen voll besetzen Marktplatz, um abzukürzen. Wir hielten uns krampfhaft fest und landeten schließlich unfallfrei an der Schiffsanlegestelle.

 

Wir kamen 20 Minuten vor 9:00 an. Der Ticketschalter war noch geschlossen. Einem Schild konnten wir entnehmen, dass er um 9:00 öffnet. Wie sollten wir da zu Tickets kommen wenn der Schalter um 9:00 öffnet und das Schiff aber auch schon um 9:00 ablegt? Dies war ein Rätsel nicht nur für uns und einige andere westliche Touristen, sondern auch für einige Russen. Die befragten Russen haben mit den Achseln gezuckt und sagten: So sei es eben! Außerdem sei gar nicht sicher, ob wir für diesen Tag überhaupt Tickets bekommen würden.

 

Weil auch um 9:30 weder der Ticket Schalter geöffnet hatte noch ein Schiff abfahrbereit war, habe ich zwei auf einer Bank sitzende Frauen angesprochen, die intelligent genug aussahen eine vernünftige Auskunft zu geben. Es handelte sich um Irina, eine Biologin mittleren Alters und eine Biologiestudentin, die beide gut Englisch sprachen. Sie wollten nach Bolschyje Koty, zur biologischen Forschungsstation am Baikalsee. Irina arbeitet dort drei Tage die Woche und die Studentin wollte ein Praktikum absolvieren. Die Studentin schlug vor wir sollten dort ein Zimmer mieten und dann mit ihr am Baikal wandern gehen. Irina erzählte von ihrer Arbeit als Limnologin und dass es in Bolschyje Koty auch ein wassertoxikologisches Labor gebe. Wenn ich wollte würde Sie mich dort einführen. Ich wollte.

 

Gegen 10:00 hatte der Ticketschalter noch immer nicht geöffnet.  Am Boot waren aber immerhin schon zwei Personen tätig, die Irina erklärten, dass heute früh gar kein Boot fahren würde, sondern erst heute Mittag. Irina und die Studentin haben daraufhin ihre Tickets aus den Rucksäcken hervorgekramt und nach einem kurzen Blick darauf schallend gelacht. Die Tickets waren für mittags ausgestellt. Die Tickets hatte eine Bekannte vor 3 Tagen besorgt und die beiden hatten selbstverständlich eine Vormittagsfahrt angenommen. Irina riet uns, zu warten und nicht wie die meisten Wartenden mit dem Bus zu fahren.

 

Als der Ticketschalter gegen 12:00 öffnete waren plötzlich mehr als 20 Personen davor. Ich bat Irina mir beim Kauf zu helfen. Nach einer Minute Warten kam sie freudig auf mich zu. Zwei Kollegen von ihr hatten Rückfahrtickets für den gleichen Tag, wollten aber erst am nächsten Tag fahren. Habe sie sofort abgekauft (254 Rubel entsprechend € 8 für 2 Personen). Ich gab ein Ticket an Claus, der sofort einsteigen wollte, und behielt eines für mich, weil ich zuletzt einsteigen wollte.

 

Plötzlich bemerkte ich eine große Aufregung an der Gangway zum Schiff. Claus war die Ursache. Er hatte sein Ticket gezeigt und damit die Schaffnerin und die darum herumstehenden Russen in helle Aufregung versetzt. Als ich hinkam murmelte er: Hab ich doch gleich geahnt, dass mit den Fahrkarten was faul ist. Ich zeigte daraufhin meine Fahrkarte und die Schaffnerin strahlte. Claus hatte nämlich das Rückfahrticket für 2 Personen und ich das Hinfahrticket ebenfalls für 2 Personen. Auch die umstehenden Russen zeigten sich erleichtert (was sie zuvor dachten kann man nur vermuten).

 

Unterwegs machte uns Irina auf  den, auch aus zahlreichen Fernsehsendungen bekannten  Schamanenstein aufmerksam. Neben der bekannten Sage vom Schamanenstein (Anhang) gibt es folgendes bekannte und beliebte Spiel: Ein Schamane steht auf dem Stein und hält den davor stehenden Touristen einen Vortrag über Schamanismus. Das Betreten des Steins ist den Besuchern streng verboten. Nach Ende seines Vortrags demonstriert der Schamane ein „Wunder“: Er geht durch einen kleinen Höhlengang, dessen Eingang für die Besucher unsichtbar ist, bis zum Ende des großen Steins und taucht dann hinter dem Stein auf. Er erweckt dabei bei den Touristen den Eindruck, als sei er problemlos durch den Stein hindurchgegangen.

 

Nach einer Stunde hielten wir kurz in Port Baikal, an der Mündung des Baikal in die Angara, fuhren dann zur gegenüberliegenden Seite nach Listwjanka (Lärchenbaumdorf) wo die meisten Passagiere ausstiegen. Wir fuhren mit Irina und der Studentin noch eine halbe Stunde weiter bis nach Bolschyje Koty.

 

Bolschyje Koty ist ein kleiner typisch sibirischer Ort mit einigen Fischern, einigen Datschen, einem Museum und der Biologischen Forschungsstation. Die beiden Frauen gingen mit uns an Land und nach ca. 100 m zeigten sie auf ein altes Holzhaus, aus einem Fenster winkten zwei Frauen. Irina sagte, dies sei das hydrotoxikologische Labor. Sie stellte uns Frau Prof. Stam und deren Mitarbeiterin vor. Das Labor wurde gezeigt und über die Arbeit berichtet. Das Labor beschäftigt sich zur Zeit mit vergleichenden Studien über die Wasserqualität des Baikal und eines vergleichbaren, aber weitgehend unberührten, jungfräulichen kleineren Sees in den Bergen. Abgesehen von den modernen Kühlschränken, mussten bei uns Einrichtung und Ausstattung von Laboren bis zum ersten Weltkrieg so ausgesehen haben. SOPs und GLP waren dort noch nicht eingezogen, das konnte ich mit einem Blick feststellen. Handy und PC mit email sind jedoch selbstverständlich. Die beiden Damen waren sehr freundlich, hatten keine Eile und ich hatte den Eindruck, sie waren für jede Abwechslung froh. Sie waren auch sofort bereit, sich mit mir fotografieren zu lassen. Das Bild schickte ich per email an den Baikal.

 

Irina hatte noch auf einen steilen Hügel gezeigt, auf den wir unbedingt klettern sollten, denn von dort hätte man einen tollen Blick über das Tal und den Baikal. Eine ältere Frau aus Irkutsk wollte uns den Weg zeigen. Sie lief voraus. Als sie an dem steilen Hang immer wieder ausrutschte zog sie kurzerhand ihre Schuhe aus und lief auf Strümpfen den ganzen Hang hinauf. Sie erzählte ununterbrochen in russisch. Claus versuchte sich mit ihr zu unterhalten. Auf seine Frage nach ihrem Alter verstand er 76 Jahre. Er äußerte daraufhin Zweifel an seinen Russischkenntnissen, es sei halt schon 50 Jahr her. Von oben hatten wir tatsächlichen einen herrlichen Blick auf das Tal mit seinen Häusern und den Baikal bis zum gegenüberliegenden Ufer. Auf einer Aussichtsbank trafen wir ein junges russisches Pärchen, beiden konnten etwas englisch. Sie fragten u.a. die alte Frau nach ihrem Alter und bestätigten: 76 Jahre. Wir gingen dann alle gemeinsam abwärts, die Alte wieder in Strümpfen und ununterbrochen plappernd. Die beiden jungen Leute haben teilweise übersetzt, die Alte hat Witze erzählt und sich über alles lustig gemacht. Wenn sie zu schnell wurde hielt sie sich einfach am nächsten Baum fest, einmal ist sie allerdings auch mit dem Kopf gegen einen Baum gerannt. Das hat sie weder am Weiterlaufen noch am Plappern gehindert.

 

An einem typisch sibirischen Hoftor war ein handgeschriebener Zettel angeheftet. Wir entzifferten: Omul. Die Russen sind reingegangen, wir hinterher. Im Garten hatte der Besitzer, offensichtlich ein alter Baikalfischer, in einer Holzkiste Omul gegart bzw. teilweise geräuchert. Das Pärchen und wir haben pro Person einen Omul gekauft, die Alte hat den ganzen Rest gleich als Vorrat mitgenommen. In einem gegenüberliegenden winzigen Lädchen hat Claus noch 2 heiße Fischkrapfen (mit Fisch gefüllte Kreppel) gekauft. Wir haben uns dann auf ein Brett am ansonsten steinigen Baikalufer gesetzt und Krapfen und Omul gegessen. Der Omul ist ein grätenarmer, hervorragend schmeckender Edelfisch, der ausschließlich am Baikal vorkommt. Neben uns weideten Kühe und Pferde, mit freiem Zugang zum Wasser. Zäune dienen dort zum Schutz der Kartoffeläcker, nicht jedoch um Vieh einzusperren.

 

Abends Rückreise ganz vorne in der Raketa, umgeben von 10 fröhlich schnatternden mongolischen Omas, keine unter 100 kg und mit strahlenden Goldkronen, wenn sie lachten. Jede Oma hatte ein oder zwei Enkel dabei. Die dickste Oma, mindestens 120 kg und einem riesigen Sonnenhut, setzte sich strahlend neben Claus, der neben ihr etwas mickrig wirkte.

 

Weil uns die Rubel ausgegangen waren wollten wir nach unserer Rückkehr am Bankschalter im Hotel Geld tauschen. Obwohl der Schalter nach Angabe der Öffnungszeiten noch eine Stunde geöffnet haben sollte, gab uns die Tante hinter dem Schalter, die wir mit Klingeln hervorgelockt hatten, zu verstehen, dass es heute kein Geld mehr gäbe. Nach einem Spaziergang zum Interhotel war der dortige Schalter nicht besetzt, obwohl keine Pausenzeiten angezeigt waren. Ein freundlicher Ober hat dann die zuständige Dame von einem Fernseher weggelockt und wir konnten Geld wechseln.

 

Wir machten noch einen Abendspaziergang entlang der Angara bis zum Lenindenkmal und dann weiter zur Vergnügungsinsel in der Angara. Dort gab es eine Achterbahn, verschiedene Fahrgeschäfte, Disko, verschiedene Verkaufsstände, Bier- und Restaurantzelte. In einem Biergarten, in dem eine 5 Mann Kapelle spielte, haben wir dann Schaschlik gegessen und Bier getrunken. Die Kapelle machte tolle Musik. Vorbeikommende Junge und Alte sind immer wieder stehen geblieben und haben mitgesungen. Gegen 23:00 sind wir dann zurück zum Hotel gegangen.

 

Dienstag, den 6. Juli um 8:00 aufgestanden (Claus hat seit 7:00 Koffer umgepackt). Wir wollten, wie sonst die meisten Russen, mit dem Bus nach Listjanka an den Baikal fahren. Wir machten uns auf den 15 Minuten kurzen Weg zum Busbahnhof. Claus hat meinen Kartenlesefähigkeiten nicht getraut und unterwegs dauernd irgendwelche Russen gefragt, die aber nichts verstanden. Wir erreichten ohne Umwege den chaotischen Busbahnhof. Uraltbusse verkehrten offenbar im Nahbereich, ältere deutsche Busse, meist noch mit der deutschen Reklamebeschriftung, fuhren die Fernstrecken. Zahlreiche Taxis und Minibusse und gelegentlich eine Straßenbahn vervollständigten das Bild. Im Gebäude waren 2 von 5 Fahrkartenschaltern geöffnet. Davor viele Menschen. Wir wollten den Tag nicht mit stundenlangem Warten verbringen und wurden daraufhin draußen von privaten Taxifahrern angesprochen. Sie boten die Fahrt nach Listjanka am Baikal zuerst für 1600 Rubel (50 €) an, später für 800. Das war uns zu teuer, wir haben abgewunken und sind zu einem Minibus gegangen. Der Fahrer wollte zuerst 700 Rubel, nach 10 Minuten intensiven Verhandelns hat er uns dann für 100 Rubel (3 €) pro Person mitgenommen. Wir bezahlten damit den gleichen Preis wie die Russen. Der japanische Minibus hatte Sitze für 10 Personen, transportiert wurden jedoch bis zu 14 Personen. Wir fuhren auf einer sehr gut ausgebauten, über viele km fast schnurgeraden Teerstraße, vergleichbar einer Bundesstraße bei uns. Die Straße führte durch ein hügelig bis bergiges Gelände mit Mischwald, bestehend aus Birken, Kiefern und Fichten. Dazwischen kleine Siedlungen, einfache bis aufwändige Holzhäuser mit Kartoffelacker und Staketenzaun drumherum. Der Minibus hielt häufiger auf Zuruf eines Passagiers oder auf einen Wink vom Straßenrand.

 

Nach einer einstündigen Fahrt kamen wir in Listwjanka, einem Fremdenverkehrsort  am Baikal an. Der Ort liegt 70 km südlich von Irkutsk, dort, wo die Angara aus dem See hinausfließt. Es erstreckt sich ca. 3 km am Ufer des Baikal entlang und ist der von Touristen und Einheimischen am meisten besuchte Ort am Baikal. In den 3 Seitentälern winden sich Schotterwege, umgeben mit typisch sibirischen Holzhäusern 2 bis 3 km ins Hinterland. Die Häuser sind zumeist in gutem Zustand, mit viel Verzierungen aus Holz und in den typisch sibirischen Farben bemalt. Ein liebevoll gepflegter Kartoffelacker pro Haus hat auch dort nicht gefehlt. Einige Häuser warben mit B + B auf russisch, meist mit dem Hinweis auf WC und die Möglichkeit zu duschen. Bei einigen Häusern wurde auch auf fließendes heißes Wasser hingewiesen, ähnlich wie in Österreich in den 50er und 60er Jahren.

 

In dem Tal, das wir besichtigten schien es noch keine Trinkwasserleitung zu geben, denn alle 100 m waren intakte, teilweise neue Ziehbrunnen mit durchweg neuen Zinkeimern. Während die Vegetation in Irkutsk der in Deutschland um einen Monat zurück ist, ist sie am Baikal 2 Monate später. In fast jedem Garten stand ein gerade blühender Fliederbaum.

 

Auch in Listjanka fielen vereinzelte, schlossähnliche Gebäude auf, man sagte uns, sie würden den Irkutsker Mafiosi gehören. 

 

In Ortsmitte warteten neben einigen Kiosken zahlreiche Verkaufstände auf Kundschaft. Angeboten wurden: Aus Birkenrinde Taschen, Körbchen und Körbe, mit Birkenrinde verkleidete Flaschen. Aus Halbedelsteinen, die nur am Baikal vorkommen, gefertigte Baikalgeister in allen Größen. Baikalgeister spielen eine wichtige Rolle bei den Trinkgelagen. Der letzte Schluck aus einer Flasche gehört immer dem Baikalgeist. Ferner wurden aus Steinen angefertigte Bären, Eier und Kugeln in allen Größen angeboten. Plüschkatzen, Schlüsselanhänger, eben alles was Touristen, zumeist Russen, so kaufen.

 

Daneben nebelten sich 30 Verkaufsstände ein, indem sie Omul und andere Baikalfische direkt vor Ort räucherten. Bei einem Cappucino auf einer Holzterrasse eines netten Restaurants direkt am Baikal trafen wir die Damen aus M und HP wieder. Die beiden hatten eigentlich private Unterkünfte gebucht, sind jedoch im einzigen Hotel des Ortes, einem scheußlichen, noch staatlich bewirtschafteten Plattenbau, untergekommen. Sie waren nicht sehr glücklich damit.

 

Zum Mittagessen haben wir uns an einem Stand  je einen Omul, frisch aus der Räucherkiste heraus, für jeweils ca. 1 € gekauft. Claus musste unbedingt was brotiges dazu essen und hat deshalb 2 Teigtaschen erstanden. Wir haben uns auf einen angeschwemmten Baumstamm am Kiesstrand gesetzt und mit den Fingern gegessen. Die Hände wurden dann im Baikal mit Hilfe von Kieselsteinen gewaschen. Nachmittags sind dann die Touristengruppen eingefallen. Am gegenüberliegenden Ufer der Angara, in Port Baikal, hatte ein Luxus Sonderzug der Transsib haltgemacht. Die Passagiere machten eine Bootsfahrt auf dem Baikal und in Listjanka einen kurzen Landgang. Außerdem führten Juri Nemirovky und Mitarbeiter in Bussen angereiste Gruppen, u.a. Australier und Neuseeländer von Kiwi Tours, umher.

 

Spätnachmittags haben wir zum Sonnen und auf ein Bier wieder die Holzterrasse des netten Restaurants aufgesucht. Eine Reisegruppe störte den Frieden erheblich. Nach Betreten der Terrasse begannen sie damit Tische hin und herzuzerren, Stühle zu schleppen und laut nach der Bedienung zu rufen. Es waren deutsche Touristen. Ein Mann, Kurt, setzte sich zu uns an die Sonne. Er begann gerade damit seine Erlebnisse zu erzählen, als er  auch schon von drei älteren Damen „zur Ordnung“, zu ihnen unter den Sonnenschirm gerufen wurde. Der arme Kerl ist dort am Tisch nicht zu Wort gekommen und hat still vor sich hingelitten.

 

Zurück fuhren wir wieder mit einem Minibus, diesmal für nur noch 60 Rubel (2 €) pro Person. Der Minibus war wieder bis auf den letzten Platz besetzt und konnten viele unterwegs winkende Menschen nicht mitnehmen.

 

Am Zentralmarkt haben wir dann noch etwas Brot und Käse gekauft für ein Abendessen im Hotelzimmer. Bier (in Flaschen zu 630 ml aus dem Kühlschrank für 75 Cent) gab es im Hotel bei der Concierge, die jeweils ein Stockwerk beaufsichtigte.

 

Vormittags war es kühl, ca. 18 Grad, nachmittags heiß, mehr als 30 Grad. Abends setzte leichter Regen ein. Die folgende Nacht hatte ich schlecht geschlafen, weil jeder Regentropfen, der auf die blecherne Mauerabdeckung vor unserem Fenster fiel, deutlich zu hören war.

 

Mittwoch, den 7. Juli um 8:00 aufgestanden.

Wir hatten ein letztes Frühstück mit kalt aufgeschnittener Zunge satt. Dieses und das nächste Jahr kann ich keine Zunge mehr sehen. Koffer bzw. Rucksack gepackt und zur Aufbewahrung im Hotel gelassen.

 

Wir besuchten noch einmal den Zentralmarkt und erstmalig den Chinesenmarkt. Dort wird meistens aus Containern heraus verkauft, teilweise aber auch aus Lädchen, die nicht mehr als 2 qm messen. Weil es die ganze Nacht geregnet hatte gab es in den Gassen riesige Pfützen. Eine Kanalisation gab es auf dem Gelände nicht, das Wasser musste versickern. Orientalische Basare sind im Vergleich zum Chinesenmarkt in Irkutsk geordnete Anlagen. Nach einem ausgiebigen Bummel aßen wir in einem Restaurant in der Fußgängerzone Steaks mit Bratkartoffeln (mit Bier 260 Rubel = 9 € für uns beide).

 

Für die Reise haben wir Brot, Wurst und Käse eingekauft. Wir sind über die Hauptstraße, der Ulica Karla Marxa bis zur Angara gegangen und haben dort von einer Bank aus dem Treiben um das Lenindenkmal zugesehen.

 

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